Analytik von Essigsäure
Stellungnahme von natureplus zum Analyseverfahren für Essigsäure-Emissionen im Rahmen der Prüfungen für das natureplus-Umweltzeichen.
Seit einiger Zeit erreichten den natureplus-Vorstand immer wieder Anfragen von Raumluft-Experten zum Analyseverfahren von Essigsäure im Rahmen der Prüfungen für das natureplus-Umweltzeichen. Hintergrund ist die VDI-Richtlinie 4301 Blatt 7, die im Oktober 2018 veröffentlicht wurde. Sie gibt Handlungsanweisungen für die Probenahme und Analyse der C1- bis C8-Carbonsäuren in der Innenraumluft, darunter eben auch Essigsäure. Demnach sind Carbonsäuren im Rahmen der konventionellen VOC-Analytik gemäß ISO 16000-6 schwierig bestimmbar, da Minderbefunde möglich sind. Die Prüfmethodik ist prinzipiell auch bei Prüfkammermessungen anwendbar, die für natureplus Zertifizierungen durchgeführt werden.
Das bedeutet, man erfasst durch die ungenaue Methode möglicherweise weniger als die tatsächliche Menge der Substanz Essigsäure, die aus dem geprüften Produkt austritt. Nun sorgten sich die Fragesteller, ob eine ungenaue Analysemethode mit dem natureplus-Anspruch zu vereinbaren sei, nur "wohngesunde Baustoffe" auszuzeichnen. Denn Essigsäuren haben nicht nur einen unangenehmen Geruch, sondern sind lt. VDI auch "gesundheitlich relevant, da sie bereits bei geringen Konzentrationen Kopfschmerzen auslösen" können.
Der natureplus-Vorstand beauftragte daher bereits im vergangenen Jahr die unabhängige natureplus-Kriterienkommission (KK), sich mit der Problematik zu befassen und zu prüfen, ob die verwendete Analysemethode an die VDI-Richtlinie angepasst werden sollte. Nach eingehender Diskussion hat dies die Kommission abgelehnt. Der natureplus-Vorstand hat diese Entscheidung zustimmend zur Kenntnis genommen. Die Hintergründe erläutert im Folgenden Tilmann Kramolisch für die natureplus-Geschäftsführung.
Umweltzeichen für nachhaltige Baustoffe erfordert zahlreiche Prüfungen
Der gemeinnützige Umweltverband natureplus e.V. hat das Ziel, nachhaltig-ökologische Bauprodukte zu fördern. Er zeichnet daher mit seinem Umweltzeichen nur Produkte aus, die umfangreiche Produktprüfungen zu den Themen Gesundheit, Klimaschutz und Ressourcen bestanden haben – koordiniert durch die natureplus Institute SCE und durchgeführt durch akkreditierte Labore und Prüfstellen. Der Zertifizierungsprozess beinhaltet neben einem der umfangreichsten Emissions-Prüfansätze für Bauprodukte noch Dokumentenprüfungen der Einsatzstoffe, Werksaudits und Lebenszyklusanalysen. Hinzu kommen die Grundanforderungen mit Einsatzverboten oder Minimierungsgeboten für viele kritische Einsatzstoffe und den darauf aufbauenden Inhaltsstoffprüfungen im Labor. Das natureplus Zeichen gibt demnach Baubeteiligten die Möglichkeit, umfangreich geprüfte und streng bewertete ökologische Produkte erkennen zu können. Zudem zeigt das natureplus Zeichen, dass es sich um Produkte aus hauptsächlich nachwachsenden oder mineralischen Bestandteilen handelt, für die vorteilhafte Ökobilanzkenndaten vorliegen. Es handelt sich also um eine vielschichtige ökologische Produktprüfung.
Die Essigsäure ist eine von vielen Substanzen, die natureplus im Rahmen der Produkt-Emissionsbewertung betrachtet. Natürlich kennt natureplus und seine beauftragten Analyselabore die Analytik gemäß VDI 4301 Blatt 7. Die natureplus-KK entschied dennoch in Abwägung, Essigsäure vorerst weiterhin gemäß ISO 16000-6 über Tenax zu analysieren.
Auch die bisherige Methode gewährleistet ausreichende Sicherheit
In Prüfkammermessungen von Holzprodukten (und gerade Holzfaser-Dämmmaterialien) finden unsere Labore Konzentrationen von Substanzen, die aufgrund Herkunft und Aufbau der Ausgangsmaterialien für den Hersteller zum Teil schwierig zu beherrschen sind. Die Ausgasungen von Naturmaterialien unterliegen großen Schwankungen. Speziell Holzfaserdämmstoffe werden für die natureplus-Emissionsprüfung in der Prüfkammer im offenen Zustand mit einer Beladung von 1m²/m³ („Szenario Wand“) geprüft. Das heißt, dass der Prüfansatz i.d.R. ein „worst case“ gegenüber der realen Bausituation ist, bei der z.B. Dampfbremse und Beplankung die Dämmung vollständig abdecken bzw. einkapseln. Eine direkte Übertragung von Prüfkammerergebnissen auf reale Raumsituationen ist generell nicht sinnvoll, aber bei Dämmstoffen aufgrund der offenen Materialprüfung noch problematischer.
Die Analytik von Essigsäure über ISO 16000-6 zeigt in der Tat im schlechten Falle Minderbefunde. Auch deshalb wurde der natureplus Anforderungswert bei Holzprodukten auf 600µg/m³ festgesetzt. Das sind 50% des NIK-Wertes (Niedrigste toxikologisch Interessierende Konzentrationen). Unterhalb des NIK-Wertes geht man von einer gesundheitlichen Unbedenklichkeit aus. Bei einem Ausreizen der 600µg/m³ und einer Annahme von Minderbefunden von ca. 50% mit dieser Analytik, wäre der wahre Wert im Bereich des NIK-Wertes. Hinzu kommt, dass der Ausschuss für Innenraumrichtwerte (AIR) beim Umweltbundesamt vor kurzem einen Innenraumrichtwert RWI für Essigsäure von 1.300µg/m³ veröffentlicht hat. Wir halten die Emissionsanforderungen für Holzprodukte daher für angemessen, ausgewogen sowie ausreichend sicher für den Verbraucher.
Strengere Prüfungen bringen keinen ökologischen Mehrwert
Es wurde in der Kriterienkommission auch diskutiert, welche Mehrwerte für die natureplus-Gesamtbewertung die Analytik nach VDI 4301 Blatt 7 bei Prüfkammermessungen bringen würde. Es ist anzunehmen, dass für Essigsäure exaktere Werte mit häufig höheren Konzentrationen ausgewiesen werden würden. Damit würden beispielsweise flexible Holzfaserprodukte die genannten anspruchsvollen Anforderungen von natureplus wahrscheinlich öfters nicht einhalten und könnten dann nicht mehr zertifiziert werden. Dies obwohl diese Produkte für die Bauwende große Bedeutung haben. Es ist nicht anzunehmen, dass sich hierdurch die Hersteller gezwungen sähen, zu besseren Produktentwicklungen zu kommen, zumal sie die Essigsäurefreisetzung kaum beeinflussen können. Stattdessen kann man beobachten, dass manche Hersteller sich bei anderen Organisationen Umweltzeichen ausstellen lassen, die eine festgestellte Essigsäure-Konzentration von fast 2.000µg/m³ unbeanstandet lassen. Ein solches Produkt wäre bei natureplus nicht zertifizierungsfähig.
Zudem zeigt sich natureplus auch zurückhaltend, durch weitere spezifische Analysemethoden die Zertifizierung kostenintensiver zu gestalten. Der Prüf- und Zertifizierungsumfang ist bereits jetzt deutlich umfassender, strenger und dadurch teurer als bei anderen Labeln. Die Aufnahme zusätzlicher Analytik (und damit zusätzlicher Kostenbelastung für die zu prüfenden Produkte) ist kein Selbstzweck und wäre nur durch einen zusätzlichen Aussagewert der Analytik zu rechtfertigen. Mehrkosten durch die Essigsäureanalytik sehen wir aus o.g. Gründen für die gesamte natureplus-Bewertung im Kosten/Nutzenverhältnis als nicht zielführend an.
Bei der Essigsäure sprechen wir über eine einzelne Substanz und eine Bewertungsgröße unter vielen Parametern, die natureplus betrachtet. Sie ist vor allem bei Messungen von Holzprodukten natürlicherweise zu erwarten. Die Erfahrung aus 20 Jahren Produktprüfung zeigen, dass sich für die Bewertung und Diskussion über Produktqualitäten eine umfassende Herangehensweise empfiehlt und diese nicht auf Grundlage einzelner und losgelöster Parameter vorzunehmen ist.