Bauen im Kreislauf
Kreislaufwirtschaft ist das Gebot der Stunde, um Ressourcen und Klima zu schonen. Noch wird meist nur darüber geredet, aber die ersten Firmen zeigen, dass zirkuläre Bauprodukte auch in der Praxis funktionieren. Wir stellen neue Beispiele aus den Bereichen Ziegel und Holz vor.
Am 4. Mai war in Deutschland Erdüberlastungstag. In nur vier Monaten hat Deutschland alle natürlichen Ressourcen aufgebraucht, die dem Land bis Ende des Jahres zur Verfügung stehen. Ressourcenschonung durch Kreislaufwirtschaft ist deshalb das Gebot der Stunde. Aber kann das wirtschaftlich funktionieren? Wissenschaftlerinnen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) ist es im Rahmen einer groß angelegten Befragung nun gelungen, den empirischen Nachweis zu erbringen, dass sich zirkuläres Wirtschaften lohnt. Die Studie von Sarah Lichtenthäler und Adriana Neligan stützt sich auf eine Umfrage bei über 1000 Unternehmen. Hierbei zeigt sich, dass gemessen an Umsatz, Beschäftigung und Investitionen zirkulär agierende Unternehmen erfolgreicher sind. Dabei wenden knapp zwei Drittel der befragten Unternehmen mindestens eine zirkuläre Strategie an (Kreisläufe verlängern, schließen und ermöglichen), allerdings setzt nur knapp ein Viertel alle drei Strategien gleichzeitig um.
Die Baubranche hat in dieser Umfrage keine große Rolle gespielt, Kreislaufwirtschaft ist hier noch die große Ausnahme. Als größter Umweltverschmutzer in Deutschland sind die Baubranche und der Gebäudebereich verantwortlich für 80 Prozent der mineralischen Ressourcenentnahme, 60 Prozent des Abfalls und 40 Prozent des CO2-Ausstoßes. Obwohl ein großer Teil der Baumaterialien im Gebäude wieder eingebracht werden könnte, liegt die Wiedereinbringungsrate in Deutschland aktuell bei nur 1 Prozent. Bei einer konsequenten Kreislaufführung von Materialien könnten bis zu 20 Prozent des gesamten CO2-Verbrauchs und 30 Prozent des Abfallaufkommens eingespart werden.
Doch es gibt ermutigende Beispiele innovativer Unternehmen und Startups, die aus der Idee, aus Bauschutt neue Produkte zu fertigen, und aus dem Anspruch, ein Gebäude so zu errichten, dass seine Bestandteile zerstörungsfrei abgebaut und wieder neu verwendet werden können, eine wirtschaftlich tragfähige Geschäftsidee gemacht haben.
Das Beispiel Leipfinger-Bader
Die traditionsreichen Ziegelwerke Leipfinger-Bader aus Bayern haben im Rahmen eines von der Landesregierung geförderten Forschungsprojekts den ersten Innenwand-Vollziegel aus recyceltem Ziegelbruch entwickelt, der nicht gebrannt, sondern nur gepresst und luftgetrocknet wird. „Ziel unserer Forschung war es, einen Mauerziegel mit hoher Rohdichte und Druckfestigkeit zu entwickeln, der die Anforderungen tragender Innenwände erfüllt“, erklärt Firmenchef Thomas Bader.
Die Basis bilden hier sortenreine Ziegelreste in besonders feinen Körnungsgrößen wie sie regelmäßig beim Schleifen von Planziegeln anfallen. Daneben werden auch Fraktionen von recyceltem und gemahlenem Ziegelbruch verwendet. Solche liefert zur Zeit die Recyclinganlage bei Leipfinger-Bader, die seit September 2020 am Standort Puttenhausen in Betrieb ist. Im Rahmen eines Ziegel-Recyclingsystems wird auf Baustellen anfallender Ziegelbruch in sogenannten „Big Bags“ fachgerecht gesammelt. Die Baustoffreste werden in verplombten Behältnissen von der Firma abgeholt und an das Ziegelwerk in Puttenhausen geliefert. Dort wird anschließend der Ziegelbruch vollständig recycelt und findet beispielsweise im Wegebau, in der Dachbegrünung oder eben in der Herstellung neuer Ziegel erneute Verwendung.
Mit besonders feinen Körnungen konnte eine neue Generation Mauerziegel entwickelt werden: In Verbindung mit einer speziellen Bindemittel-Mischung der Osnabrücker Sievert Baustoffe ist der sogenannte „Kaltziegel“ entstanden. Wie der Name andeutet, ist für dessen Produktion kein energieintensiver Brennprozess notwendig. Stattdessen wird er gepresst und lediglich an der Luft getrocknet. Das Resultat ist ein Wandbaustoff, der eine hohe Rohdichte aufweist und damit über eine hohe Druckfestigkeit verfügt. Dank seiner Masse erfüllt er nicht nur die statischen Voraussetzungen für tragende Innenwände, sondern auch zeitgemäße Schallschutzanforderungen. Wie herkömmliche Planziegel lässt er sich im Dünnbettverfahren verarbeiten.
Das Beispiel StoneCycling
Einen ähnlichen Weg geht das niederländische Startup StoneCycling mit seinen WasteBasedBricks® und WasteBasedSlips®, das sind Fassadenklinker und Klinkerriemchen aus Bauabfällen. Derzeit werden die WasteBasedBricks® zu mindestens 60 % aus sortiertem Bauschutt hergestellt, in den kommenden Jahren sollen 100 % erreicht werden. Die farblich sortierten Abfälle wie Ziegel, Keramik oder Naturstein werden zu einer materialspezifischen Körnung aufgemahlen und mittels verschiedener Bindemittel zu Formsteinen verarbeitet, die im Innen- und Außenbereich als Fassadenverkleidung oder Bodenbelag eingesetzt werden können. Die ästhetische Anmutung, die durch die verschiedenen Ausgangsmaterialien und ihre Behandlung - etwa mit rauer oder geschliffener Oberfläche - entsteht, bietet den Architekten zahlreiche Möglichkeiten. Auch bietet die Firma individuelle Farbmischungen und Formate für größere Bauvorhaben an.
Ein aktuell fertiggestelltes Bauvorhaben, bei dessen Fassade Produkte der Firma StoneCycling zum Einsatz kamen, ist das Crossover Building in Amsterdam. Das multifunktionale Gebäude bietet Raum für etwa 250 Wohnungen, rund 10.000 m² flexible Büroflächen und zusätzlich Co-Working-Areas sowie zahlreiche soziale und gastronomische Infrastruktureinrichtungen und soll das Herz des neuen Stadtteils "Zuidas" werden. Das Wohnprogramm besteht größtenteils aus Studios für Studenten, Jungunternehmer und Boarding-House-Gäste, die von gemeinsamen Einrichtungen wie Waschküche, Wohnzimmer, gemeinsamen Dachterrassen und gemeinsamen Elektroautos profitieren werden. Die Stadt Amsterdam hat bei der Entwicklung dieses Standorts hohe Anforderungen an die Nachhaltigkeit der Architektur gestellt. Das Design von Crossover basiert auf einem breiten Spektrum von Nachhaltigkeitszielen: Energieneutralität, nachhaltige Mobilität, zukünftige Flexibilität, Nutzung von Grünflächen und Gesundheit.
Durch flexible Wände lassen sich Wohneinheiten relativ einfach zu größeren Wohnungen zusammenlegen, auch Büroflächen lassen sich flexibel anordnen. Vorgefertigte Bauelemente werden so weit wie möglich verwendet, um den Verlust von Rohstoffen zu minimieren. Die schräg ansteigenden Dachterrassen sorgen für mehr Tageslicht und Transparenz zur Wohnstraße hin, für einen gesunden grünen Außenraum für Bewohner und Nutzer und sie dienen als Puffer und Speicher für Regenwasser. Das Gebäude besteht aus einer komplett rückbaubaren Stahl-Rahmenkonstruktion und die gesamte Fassade wurde mit WasteBasedBricks® verkleidet. Dadurch wurden allein mit diesem Bauprojekt 177.643 kg Abfälle recycelt. Das Gebäude erhält einen Materialpass und ist somit bei Madaster registriert. Auf diese Weise können die Materialien wiederverwendet werden, wenn das Gebäude am Ende seiner Lebensdauer endgültig abgerissen wird. Dass die Fassade praktisch rückbaubar ist, dafür sorgt die Zusammenarbeit mit der niederländischen Firma Drystack.
Das Beispiel Hagemeister
Auch der mittelständische Klinkerhersteller Hagemeister aus der Nähe von Münster nutzt die Zusammenarbeit mit der Firma Drystack zur Herstellung seiner "zirkulären Klinkerfassade". Klinker ist aufgrund seiner Druckfestigkeit und geringen Wasseraufnahme ein Baustoff mit einer theoretischen Lebensdauer von 1.000 Jahren. Die Nutzungszeit des Ziegels wird aber durch Abriss und Downcycling zu Bauschutt begrenzt. Hagemeister & Drystack haben vor diesem Hintergrund ein zirkuläres System für den einfachen, beschädigungsfreien und sortenreinen Rückbau von Klinkerfassaden entwickelt. Das System ermöglicht die vollständige Wiederverwertung von Klinkerfassaden in einem "zweiten Leben".
Eine konventionell gemauerte Klinkerwand wird mit Mauermörtel erstellt. Dies verhindert bei einem Abriss den sortenreinen Rückbau. Deshalb wird bei der zirkulären Klinkerfassade auf Mörtel als Verbindungsmaterial verzichtet. Stattdessen werden Steck-Verbindungselemente der niederländischen Drystack B.V. steinübergreifend zwischen die mit speziellen Vertiefungen versehenen Klinker eingelegt. Hagemeister hat für das zirkuläre System eigens einen Klinker entwickelt und nach den Anforderungen von Drystack produziert. Dieser Klinker wird ressourcenschonend aus keramischen Ausschüssen gefertigt. Die Besonderheit des Upcycling-Brandes ist die konsequente und ausschließliche Nutzung von Rohstoffen, die in früheren Produktionsprozessen abgesondert wurden. Lage für Lage wird trocken, aber gerichtet gestapelt. Für die einfache Verbindung mit der Hinterwand gibt es passende Ankersysteme. Gegen Witterungseinflüsse werden die Fugen abschließend mit einem rückstandslos entfernbaren Fugenmörtel in 1,5 - 2 cm Tiefe versiegelt. Auch eine fast fugenlose Verarbeitung ist möglich. Der Rückbau erfolgt durch einfaches Abstapeln. Die Klinker lassen sich schadlos entnehmen, der Fugenstreifen fällt leicht ab und Verbinder lassen sich sortenrein separieren und recyceln.
Das Beispiel Triqbriq
Ein neues modulares und rückbaubares Bausystem aus Massivholz bietet das Stuttgarter Startup Triqbriq. Es besteht aus mikro-modularen Holzbausteinen – den sogenannten BRIQs. Diese werden mit Robotertechnik hochpräzise aus kostengünstigem Industrie- und Kalamitätsholz sowie rückgebautem Holz hergestellt. Die einzelnen BRIQs werden auf der Baustelle im Verband aufeinander gesteckt und über Buchenholzdübel leimfrei miteinander verriegelt. Auf diese Weise lassen sich tragende Außenwände kosteneffizient, flexibel und in kurzer Zeit errichten. Zu den weiteren Vorteilen gehört, dass die BRIQs am Ende der Nutzungsphase eines Gebäudes sortenrein entnommen und vollständig wiederverwendet werden können. Triqbriq ist eine Alternative zum konventionellen Massivbau. Auf- und Rückbau gelingen einfach, schnell und sauber – für effizientes Bauen in Zeiten des Fachkräftemangels.
Durch eine Kooperation mit dem Berliner Softwarehaus Concular, dem deutschen Marktführer für Materialpässe und die Wiedereinbringung von Materialien, bezieht Triqbriq seit März 2023 rückgebautes Holz aus einem Projekt mit einem großen Deutschen Discounter zur Herstellung seines kreislauffähigen Holzbau-Systems. Dafür wurden die Roboter-unterstützte Produktionsanlage angepasst und anspruchsvolle Qualitätskontrollen etabliert. Durch die zirkuläre Nutzung von rückgebautem Holz werden erhebliche Mengen an Ressourcen, Energie und Emissionen eingespart. Diese Materialinnovation beantwortet entscheidende ökologische und ökonomische Problemstellungen der Bau- und Forstwirtschaft und zeigt, dass Kreislaufwirtschaft in der Praxis umsetzbar ist.
Die Software des natureplus-Mitglieds Concular befähigt nach eigener Aussage "Bauherr:innen, Projektentwickler:innen, Bauplanende und Herstellende, das Potenzial ihrer Materialien über den gesamten Lebenszyklus zu optimieren und Emissionen und Abfälle aktiv zu reduzieren". Dafür werden Materialien mittels des "Life-cycle-Passports" digitalisiert und im Falle einer Sanierung oder eines Umbaus automatisiert in neue Lebenszyklen überführt. Lewin Fricke, Leitung Öffentlichkeitsarbeit von Triqbriq, sagt zu dieser Kooperation: “Der Holzbau ist die entscheidende Stellschraube im Kampf gegen den Klimawandel. Der Rohstoff Holz steht jedoch nicht unbegrenzt zur Verfügung. Gemeinsam mit Concular ermöglichen wir nun die Verwendung von rückgebautem Holz im seriellen und kreislauffähigen Rohbau. Damit sparen wir Ressourcen, schonen das Klima und entlasten die Forstwirtschaft.”
BAU-Innovationspreis für die "Kreislaufwand"
Alle zuletzt vorgestellten Elemente wurden nun in einer beispiellosen Kooperation zu dem Projekt "Kreislaufwand" zusammengeführt. Auf der Fachmesse BAU 2023 in München wurde die "Kreislaufwand" mit dem Innovations-Preis der Messe und des Fachmagazins AIT prämiert. Die „Kreislaufwand“ ist eine vollwertige, tragende Außenwand. Der Clou: Alle verwendeten Elemente sind ohne Kleber oder Mörtel zusammengefügt, und somit sortenrein und beschädigungsfrei rückbaubar. Die Errichtung der gesamten Wand gelingt daher schnell, einfach und sauber. Das Ergebnis ist eine echte Rohbau-Alternative: Ressourcenschonend, klimapositiv und kreislauffähig.
Die tragende Massivholzwand produziert TRIQBRIQ. Das dafür verwendete Holz stammt aus Rückbauprojekten der Firma Concular. Als Wetterschutzebene dient die zirkuläre Klinker-Verblendfassade von Hagemeister und Exklusivpartner drystack. Zwischen den Funktionsebenen aus Holz und Klinker sitzt eine Dämmebene, zum Beispiel aus Holzfaser. An der Innenwand kommen Lehmbauplatten zum Einsatz. "Die Kreislaufwand ist der Beweis, dass es eine praktikable Alternative zum herkömmlichen Massivbau gibt", hieß es bei der Vorstellung. Jedes Element sei unvergleichlich rohstoffsparend und klimaschonend. Darüber hinaus biete das System Architektinnen und Architekten Gestaltungsspielraum für kreative Architektur.