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Beispiel für innerstädtische Verdichtung durch Aufstockung. Foto: Baufritz

Baupolitik in Deutschland

Bauturbo gegen Wohnraummangel?

Mit einer Reihe von Gesetzesvorhaben will die Bundesregierung den Kampf gegen die Wohnungsnot und gegen die Krise im Bausektor aufnehmen: Mit der Novelle des Baugesetzbuchs, der Verfahrensbeschleunigung in angespannten Wohnungsmärkten ("Bauturbo") sowie mit dem neuen Hilfsprogramm "Jung kauft Alt". Umwelt- und Verbraucherschützer sehen einige der neuen Regelungen kritisch.

September 16, 2024

Während die Bundesregierung in vielen Politikbereichen vor lauter internem Streit nicht mehr recht handlungsfähig zu sein scheint, kommt das Ressort von Klara Geywitz (SPD), Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, mit einem ganzen Bündel von neuen Maßnahmen aus der Sommerpause, mit denen das Tempo beim Planen und Bauen beschleunigt und das Wohnen und Leben in Stadt und Land besser und bezahlbarer werden sollen. Zu diesen Maßnahmen zählen die Novelle des Baugesetzbuchs (BauGB), die unlängst im Kabinett beschlossen wurde, dabei besonders die bis 2027 befristete Einführung des § 246e BauGB ("Bauturbo"), sowie das neue Förderprogramm "Jung kauft Alt" für Familien mit geringerem Einkommen. Gemeinsam ist diesen Initiativen eine Fokussierung auf den Gebäudebestand und ein Abbau bürokratischer Vorschriften. Stadtentwicklung soll sich zudem stärker an den aktuellen Erfordernissen des Klimaschutzes und der Klimaanpassung orientieren. Selbstbewusst verkündete die Ministerin Anfang September: "Diese Neuregelungen werden Städte und Dörfer lebenswerter und schneller und einfacher neuen Wohnraum möglich machen."

Auch wenn die meisten der geplanten Maßnahmen angesichts der drängenden Umstände auf breite Zustimmung stoßen, befürchten Umweltverbände durch manche Verfahrensvereinfachungen einen Abbau von Umweltschutzregeln und Beteiligungsmöglichkeiten, Verbraucherschützer befürchten, dass das Ziel, mehr erschwinglichen Wohnraum zu schaffen, mit diesen Maßnahmen nicht erreicht wird. Auch wenn sie anerkennen, dass zahlreiche Regelungen zu Verbesserungen beim Klima- und Mieterschutz führen sollen, werden Kontrollmechanismen und Monitoring vermisst. Aktuell ist jedenfalls noch keine Trendwende am Wohnungsmarkt in Sicht, obwohl die kürzlich vorgenommene Zinssenkung belebend wirken könnte. Das Gesetzgebungsverfahren zum BauGB soll im Bundestag bis Ende 2024 abgeschlossen sein. Das Programm "Jung kauft Alt" ist bereits Anfang September an den Start gegangen.

Der "Bauturbo" § 246e BauGB

Der sogenannte "Bauturbo" ist eine Sonderregelung für den schnelleren Wohnungsbau. Der Paragraf 246e sieht vor, dass in Gebieten mit nach behördlicher Feststellung "angespanntem Wohnungsmarkt" bei Projekten mit mehr als sechs Wohnungen von den Vorschriften des Baugesetzbuches weitreichend abgewichen werden kann. So wird hier der Wohnungsbau für eine befristete Zeit vereinfacht und beschleunigt, indem bei Erweiterungen von vorhandenen Baugebieten kein gesonderter Bebauungsplan vorgelegt werden muss. Solchen Vorhaben muss jede Kommune, in der darüber diskutiert wird, zustimmen. Der § 246e BauGB sollte bereits in diesem Jahr als Einzelregelung vorgezogen werden, nun wird er aufgrund der zahlreichen vorgetragenen Bedenken noch einmal im Rahmen der BauGB-Novelle (s.u.) diskutiert. Neu dabei ist jetzt, dass eine längere Befristung für den "Bauturbo" bis 2027 vorgesehen ist.

In einem öffentlichen Appell haben sich mehrere Verbände gegen den Gesetzesentwurf geäußert. Dazu zählen die Bundesarchitektenkammer, der Bund Deutscher Architekten und Architektinnen, Architects for Future und der Naturschutzbund Deutschland NABU. Die Verbände befürchten Fehlentwicklungen bei der Siedlungsplanung zu Lasten von Klima- und Naturschutz.  „Der § 246e BauGB ist aus unserer Sicht keine zielführende Antwort auf den Wohnraummangel in Deutschland. Im Gegenteil, er birgt die Gefahr von siedlungspolitischen Fehlentwicklungen und schafft gefährliche Fehlanreize.“, sagt Andrea Gebhard, Präsidentin der Bundesarchitektenkammer (BAK). „Wir brauchen kompakte Siedlungen mit einer effektiven Infrastruktur, wir können doch nicht die Ränder unserer Siedlungen einem zerstörerischen Wildwuchs preisgeben – wider jeder Baukultur!“

Regelungen, die möglicherweise außer Kraft gesetzt werden könnten, sind etwa die Umweltverträglichkeitsprüfung und die Öffentlichkeitsbeteiligung. Auch Vorschriften, die die Ausstattung mit sozialer Infrastruktur gewährleisten oder zum geltenden Bebauungsplan gehören, könnten umgangen werden. So würde es möglich werden, Wohnbauten an ungeeigneten Standorten wie Landwirtschafts-, Grün- oder Sportflächen oder an Randlagen zu errichten, schreiben die Verbände in ihrem Appell. Das widerspreche nicht nur den Prinzipien einer nachhaltigen Stadtentwicklung, sondern schaffe auch enorme Herausforderungen für soziale Infrastrukturen und den Umweltschutz. Vielmehr müsse die Verdichtung und Aufstockung bestehender Gebäude in den Vordergrund rücken, um den Wohnraummangel zu adressieren.

Ein wenig erinnert der Streit um den § 246e BauGB an die Auseinandersetzung um den § 13b BauGB, der 2023 durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs außer Kraft gesetzt wurde. Dieser Paragraph hatte für Flächen im Außenbereich mit weniger als 10.000 m² Grundfläche die Möglichkeit des beschleunigten Verfahrens zugunsten des Wohnungsbaus eingeführt, wenn sich das Plangebiet an den Innenbereich anschließt; vorher gab es das nur für den Innenbereich. Damit entfielen für diese Außenbereichsflächen u.a. auch die Vorschriften für eine Umweltprüfung. Umweltverbände hatten den § 13b wegen des verstärkten Flächenverbrauchs mit entsprechender Naturzerstörung ohne die vorgeschriebene Kompensation kritisiert und schließlich vor dem EUGH Recht bekommen. Vor allem kleine und mittlere Kommunen hatten diesen Weg der Baulanderweiterung gewählt, weil sie den Aufwand eines Bebauungsplans scheuten.

Die Neuerungen der BauGB-Novelle

Aufstockungen: Künftig sollen Erweiterungen von Gebäuden überall und nicht mehr nur in angespannten Wohnungsmärkten möglich sein, insbesondere Aufstockungen, auch quartiersweise oder stadtweit, ohne dass ein Bebauungsplan geändert werden muss (vgl. § 31 Absatz 3 BauGB). Bisher gab es diese Möglichkeit nur im Einzelfall.

Innenentwicklung: Es soll leichter verdichtet gebaut werden können, d.h. in zweiter Reihe auf dem Grundstück oder auf Höfen. So können z.B. die Kinder künftig schneller und einfacher ein eigenes Haus auf dem elterlichen Grundstück errichten. Bisher scheitert das daran, dass eine solche verdichtete Bebauung nicht dem Charakter des Quartiers entspricht.

Sozialer Flächenbeitrag: Mit Hilfe der sogenannten Baulandumlegung können Gemeinden schlecht nutzbare Grundstücke entsprechend den Vorgaben eines Bebauungsplans neu gestalten. Dieses Instrument soll mit der Einführung eines sozialen Flächenbeitrags (§ 58a BauGB) genutzt werden, um auf mehr Flächen sozialen Wohnraum zu schaffen. So soll in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt die Gemeinde den fälligen Wertausgleich bei einer Baulandumlegung von den Grundstückseigentümern statt in Geld als Fläche verlangen können. Dann muss sie sich aber auch dazu verpflichten, auf dieser Fläche sozialen Wohnungsbau zu errichten.

Stärkung der kommunalen Vorkaufsrechte: Kommunale Vorkaufsrechte nach BauGB können zukünftig ausgeübt werden, wenn alle Eigentumswohnungen auf einem Grundstück in einem gemeinsamen Kaufvertrag verkauft werden sollen.

Umwandlungsschutz: Das Instrument des Umwandlungsschutzes nach § 250 BauGB wird bis Ende 2027 verlängert. Damit können die Länder in besonders ausgewiesenen Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt einen Genehmigungsvorbehalt für die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen einführen.

Fristen für die Bauleitplanung: Die Aufstellung von Bebauungsplänen dauert häufig mehrere Jahre. Künftig sollen die Gemeinden Pläne im Regelfall innerhalb von zwölf Monaten nach Ende der Beteiligungsverfahren veröffentlichen.

Umweltprüfung und Umweltbericht: Der Umweltbericht soll künftig auf einen "angemessenen Umfang" beschränkt werden. Die Prüftiefe soll konzentriert werden auf diejenigen Belange, die tatsächlich auf der abstrakten Planebene (ohne konkretes Vorhaben) bewertbar sind.

Innovationsklausel: Veraltete Bebauungspläne sollen künftig schneller aktualisiert werden können ("Innovationsklausel"). Für die Änderung eines Bestandsplans auf die jeweils aktuelle Baunutzungsverordnung (BauNVO) dient künftig auch das sog. vereinfachte Verfahren nach § 13 BauGB, in dem auf eine Umweltprüfung verzichtet und Beteiligungsverfahren gestrafft werden können.

Digitalisierung: Die Bekanntmachungen, z. B. zu Flächennutzungs- und Bebauungsplänen, werden zukünftig auch digital veröffentlicht.

Stärkung der Klimaanpassung: Künftig sollen die Kommunen im Zuge der Erteilung des Baurechts z. B. die Schaffung von dezentralen Versickerungsanlagen auf einem Grundstück anordnen können oder auch die Anlage eines Gründaches. Insbesondere soll eine solche Möglichkeit auch für den sog. unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB) geschaffen werden, in dem sich ein Großteil des Bauens abspielt.

Beschleunigung Windenergie und Geothermie: Die Regelungen für die Ausweisung von Windenergiegebieten werden weiterentwickelt. Zudem wird eine ausdrückliche Außenbereichsprivilegierung für Geothermie eingeführt, Geothermie-Anlagen können also künftig auch da gebaut werden, wo noch kein qualifizierter Bebauungsplan vorliegt bzw. auch außerhalb von Ortsteilen.

Pflanz- und Maßnahmengebot: Bauherren müssen zukünftig innerhalb einer bestimmten Frist den zuständigen Behörden mitteilen, dass sie sogenannte Ausgleichsmaßnahmen, z. B. das erforderliche Pflanzen von Bäumen oder die Begrünung von Dächern, umgesetzt haben (vgl. § 135a BauGB). Die Anzeigepflicht führt zu weniger Verwaltungsaufwand der Gemeinde.

Musikclubs: Es soll eine eigenständige, neue Nutzungskategorie der "Musikclubs" in die Baunutzungsverordnung eingeführt werden. Zur weiteren städtebaulichen Hervorhebung der Musikclubs wird zudem vorgeschlagen, eigenständige Gebiete für Musikclubs ausdrücklich in den Katalog der Sondergebiete nach § 11 Absatz 2 BauNVO aufzunehmen, um den Gemeinden deren planerische Sicherung zusätzlich zu erleichtern.

Jung kauft Alt: Unterstützung von Familien beim Eigentumserwerb

Am 3. September 2024 startete das neue Förderprogramm „Jung kauft Alt“ des Bundes, das Familien mit minderjährigen Kindern und kleineren bis mittleren Einkommen beim Wohneigentumserwerb von sanierungs­bedürftigen Bestandsgebäuden unterstützt. Die Förderung erfolgt mittels zinsverbilligter KfW-Kredite. Für die Zinsverbilligungen der KfW stehen für 2024 insgesamt 350 Mio. Euro bereit. Zum Start liegt der Zinssatz bei 35 Jahren Kreditlaufzeit und einer zehnjährigen Zinsbindung bei 1,51% effektiv. Voraussetzung zur Inanspruchnahme der Förderung ist unter anderem der Erwerb einer Bestandsimmobilie mit einem Gebäudeenergieausweis der Klassen F, G oder H. In Deutschland trifft dies auf rund 45% aller Wohngebäude zu.

Klara Geywitz, Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen: „Geld sparen und gleichzeitig Ressourcen schonen, das kann man durch das Sanieren von alten Häusern." Mit dem neuen Förderprogramm ‚Jung kauft Alt‘ könne eine Familie mit zwei Kindern bis zu 18.000 Euro sparen. "Familien können so zum Beispiel in die alte Heimat ziehen, dort ein bestehendes Haus sanieren und gleichzeitig andere Sanierungsförderungen in Anspruch nehmen." Möglich sei etwa die Kombination mit Förderprogrammen der Länder oder der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG). "Gerade in ländlichen und dünn besiedelten Regionen vermeiden wir damit Donut-Dörfer, bei denen die historische Bausubstanz im Dorfkern leer steht und die Menschen drumherum im Neubau wohnen.“

Die Konditionen des Programms:

  • Die Förderung erfolgt als Projektförderung in Form der Anteilsfinanzierung als Kredit mit Zinsverbilligung aus Bundesmitteln. Förderfähig sind die gesamten Ausgaben für den Eigentumserwerb inkl. (anteilige) Grundstückskosten. Nicht gefördert werden Kaufnebenkosten.
  • Förderberechtigt sind Familien mit minderjährigen Kindern und einem maximal zu versteuernden Haushaltseinkommen von 90.000 Euro bei einem Kind (+10.000 Euro je weiteres Kind).
  • Gefördert wird der Erwerb von selbstgenutztem Wohneigentum im Bestand. Die Gebäude müssen dabei den Energieeffizienzklassen F, G oder H (gemäß Energieausweis) zugehörig sein. Innerhalb von 54 Monaten nach Förderzusage muss auf mindestens Energieeffizienzklasse 70 EE saniert werden.
  • Fördervoraussetzung ist, dass das zu erwerbende Wohneigentum mindestens zehn Jahre zu Wohnzwecken genutzt wird. Die ersten fünf Jahre muss die Wohneinheit von den Erwerbern selbst genutzt werden.
  • Die Förderung erfolgt mittels zinsverbilligter KfW-Darlehen. Die Kredithöchstbeträge sind abhängig von der Kinderanzahl und betragen bei einem Kind max. 100.000 Euro, bei zwei Kindern max. 125.000 Euro und bei drei oder mehr Kindern max. 150.000 Euro. Es sind Kreditlaufzeiten von 7 bis 35 Jahren sowie Zinsbindungen von 10 oder 20 Jahren möglich.
  • Eine Kombination mit anderen (Landes-)Förderprogrammen ist grundsätzlich möglich, ebenso die Kombination mit BEG-Mitteln (Sanierungsförderung).
  • Nicht förderberechtigt sind Personen, die Voreigentum besitzen oder bereits Baukindergeld beziehen bzw. bezogen haben.

Der Bauherren-Schutzbund e.V. (BSB) blickt skeptisch auf die Einführung des neuen KfW-Förderprogramms. In seinem Statement zweifelt Geschäftsführer Florian Becker an der Wirksamkeit des Programms und warnt vor Verbraucherrisiken, die durch das Programm entstehen könnten: "Die Vorgabe, Gebäude der schlechtesten Energieklassen F, G oder H innerhalb von nur 4,5 Jahren vollständig auf den hohen Energieeffizienzstandard 70 EE zu sanieren, wird die Meisten überfordern. Die sehr umfangreiche Sanierung muss fast auf einmal vollständig gestemmt werden, Zeit zur finanziellen Erholung bleibt kaum – eine Herausforderung, die viele Familien nicht bewältigen können. Somit wird das Programm unattraktiv und stellt sogar ein Risiko dar, sollte man die strengen Fördervorgaben nicht erfüllen können und Rückzahlungsansprüche entstehen. Für ein bedarfsgerechtes Programm wären ein praxistauglicherer Rahmen und flexiblere Erfüllungsfristen nötig."

Aus der Sicht der Umweltorganisation natureplus sind die Pläne der Bundesregierung zur Änderung des BauGB überwiegend positiv zu bewerten. Insbesondere die Konzentration auf die Bestandssanierung statt Neubau bewertet natureplus aus Gründen der Ressourcenschonung positiv. Die neuen Vorschriften zur Erleichterung von baulicher Verdichtung durch Aufstockungen und Anbauten sowie das Bauen in zweiter Reihe geben den Städten und Gemeinden einen größeren Handlungsspielraum. Den müssen diese aber auch verantwortungsvoll nutzen, damit nicht weitere Zersiedelung und die Versiegelung der letzten innerstädtischen Grünflächen das Resultat ist. An den hohen Baukosten und den daraus resultierenden Mietpreisen im Neubau werden die geplanten Maßnahmen aber auch nichts ändern können.

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Autor
Thomas Schmitz
Journalist, unabhängiger Berater für nachhaltiges Bauen, ehemaliger Geschäftsführer von natureplus.