Der BNB Zirkularitätsindikator
Zur Bewertung der Kreislauffähigkeit von Baustoffen und Konstruktionen hat eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen unter Leitung des österreichischen IBO eine neue Systematik entwickelt, die im "Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen" (BNB) der deutschen Bundesregierung zum Einsatz kommen soll. Auch natureplus überlegt, diese Systematik in seine Baustoffbewertung künftig zu integrieren.
Im Auftrag des deutschen Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) entwickelte das IBO (Österreichisches Institut für Bauen und Ökologie GmbH, die natureplus-Partnerorganisation in Österreich) federführend eine völlig neue Systematik zur Bewertung der Zirkularität von Gebäuden, Konstruktionen und Baustoffen. Die Wissenschaftlerinnen Mag. Hildegund Figl und Mag. Maria Fellner vom IBO sowie Dr. Patricia Schneider-Marin von der TU München und Prof. Dr. Isabell Nemeth von der Hochschule Ansbach schufen dazu ein System zur Einteilung von Neubau-Materialien nach End-of-Life Kategorien (A+++ bis D) zuzüglich drei Kategorien für Gefahrstoffbelastungen (E bis G), um sie im Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) der deutschen Bundesregierung einsetzen zu können.
Die neue Kategorisierung ergänzt und konkretisiert die Anforderungen des BNB-Kriteriensteckbriefes 4.1.4 „Rückbau, Trennung, Verwertung“. Inhaltlich berücksichtigt die neue Systematik neben der Rückbaubarkeit der Materialien auch die Störstoffanfälligkeit von nicht oder nur schwer trennbaren Materialverbünden und damit indirekt Einbußen bei Rezyklatqualität, Materialverluste und erhöhte Aufwände der Aufbereitung. Die zusätzlichen Gefahrstoffkategorien dienen zur Einschätzung des Rückbaurisikos, das von den derart eingestuften Materialien ausgeht. Es ist vorgesehen, die Anwendung des Kriteriensteckbriefs 4.1.4 in das Online-Tool „eLCA“ (www.bauteileditor.de), das für die Ökobilanz im BNB-System eingesetzt wird, zu implementieren.
Fortentwicklung und Evaluierung des BNB-Kriteriensteckbriefes 4.1.4
Das Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen (BNB) des deutschen Bundesbauministeriums bietet ein wissenschaftlich fundiertes und planungsbasiertes System zur Nachhaltigkeits-Bewertung von Büro- und Verwaltungsbauten, Unterrichts- sowie Laborgebäuden. Die Gebäude werden dabei auf Bauteilebene bewertet. Das BNB-System wird heute schon verpflichtend bei der Planung von Bundesbauten eingesetzt und kommt auch bei öffentlichen Bauten der Länder und Kommunen vermehrt zum Einsatz. Die Kriterien sind ähnlich denen im privaten DGNB-System, hier finden auch immer wieder Angleichungen statt. Für die Bewertung im BNB-Kriteriensteckbrief 4.1.4 „Rückbau, Trennung, Verwertung“ (BNB 4.1.4) wurde nun eine neue Bewertungssystematik erarbeitet. Der BNB 4.1.4 hat zum Ziel, Gebäude bereits im Planungsprozess so zu optimieren, dass sie am Ende des Lebenszyklus einen optimalen Beitrag zur Kreislaufführung von Baustoffen leisten und möglichst wenig unverwertbaren Abfall hinterlassen.
In mehreren Vorgängerprojekten wurde vom IBO bereits ein großes Dateninventar zu Verwertungswegen von Baustoffen über umfassende Marktstudien erarbeitet. Auf Gebäudeebene spielen aber neben der Materialeinstufung die konkrete Einbausituation, Zugänglichkeit und Lösbarkeit der Verbindungen eine wesentliche Rolle, um einen effizienten und wirtschaftlichen Rückbau zu ermöglichen. Häufig liegt ein komplexer Materialverbund vor, der erst in nachgelagerten Aufbereitungsschritten getrennt werden kann. Diese Aufwände sowie die Trennung von Stör- und Schadstoffen, die das Recycling erschweren oder die Rezyklatqualität abmindern, werden durch Abschläge in der Klassifizierung berücksichtigt. Ein Gefahrstoffklassifizierungssystem, das im Rahmen des eigenen Forschungsprojekts BIMstocks erarbeitet wurde, ergänzt die Beurteilung von belasteten Baustoffen des Gebäudebestands.
Klassifizierung des Recyclingpotentials
Die End-of-Life Bewertung orientiert sich in erster Linie am Recyclingpotenzial des günstigstenfalls sortenrein rückbaubaren und schadstofffreien Materials. Wirtschaftlich umsetzbare Aufbereitungstechniken und potenzielle Einsatzmöglichkeiten als Sekundärstoffe oder Sekundärrohstoffe fließen direkt in die Material-Klassifizierung ein, die einem 10-teiligen Bewertungsschema von A+++ (ReUse-fähig) bis G (ungünstigste Gefahrenstoffklasse) folgt (siehe Grafik oben).
Die Klasse A+++ „Wiederverwendung“ setzt einen zerstörungsfreien oder zumindest weitgehend zerstörungsfreien Rückbau voraus. Gleichzeitig müssen die ReUse-Bauelemente oder ReUse-Bauprodukte für den Wiedereinsatz geeignet sein, d.h. technische Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit für den neuen Einsatzzweck erfüllen und eine bestimmte Marktnachfrage bedienen. Geringe Ausbau-, Transport- und Lagerkosten bzw. zeitnahe Einbaumöglichkeiten bei Neu- oder Umbauten erleichtern dabei die Wiederverwendung.
Die grünen Klassen A++, A+ und A beschreiben Recyclingszenarien von Closed Loop Recycling bis hin zu Recycling mit erhöhten Aufbereitungs-Aufwänden bzw. potenziell Recycling-fähiger Biomasse, die aber aus primär wirtschaftlichen Gründen zur Zeit überwiegend (noch) thermisch verwertet wird. Technologie-Verfügbarkeit, deren Marktreife und Marktdurchdringung bestimmen wesentlich, ob und in welchem Ausmaß Recycling-Szenarien zum Tragen kommen.
Die Klassen B bis D beschreiben sonstige Verwertungs- oder Beseitigungswege. Die Klassen E bis G charakterisieren zusätzlich gefahrenstoff-kontaminierte Materialien, die einer besonderen Behandlung bedürfen. Die entsprechende Gefahrenstoffklassifizierung wurde im Rahmen des Forschungsprojekts BIMstocks erarbeitet, das sich allein mit Bestandsbauten unterschiedlicher Baualtersklassen beschäftigte.
Punkte für Recyclingfähigkeit und Punktabzüge für Störstoffe
Das zugehörige Punktesystem ist prinzipiell zwischen +100 (Closed Loop Recycling) und -100 Punkten (Default-Gefahrenstoffklasse F) aufgespannt, wobei es Überpunktungen sowohl in die positive Richtung (im Falle von Eignung zur Wiederverwendung, +140 Punkte gesamt) als auch in die negative Richtung (Gefahrenstoffklasse G, -140 Punkte gesamt) gibt. Voreingestuft wird zunächst das sortenreine, unverbaute Material, das aber im eingebauten Zustand in einer Baukonstruktion durch nicht oder nur schwer trennbare Schichten wesentlich in seinen Verwertungseigenschaften gestört sein kann. Dazu muss zunächst die Rückbaufähigkeit der Materialien und ihre Störstoffanfälligkeit im konkreten Materialverbund beurteilt werden.
Die Rückbaufähigkeit von Materialien auf der Baustelle wird in 4 Klassen eingestuft. Nur für die Klassen A++ (zerstörungsfrei rückbaubar), A+ (weitgehend zerstörungsfrei rückbaubar) und A (Form oder Materialstruktur zerstörend, aber sortenrein rückbaubar) werden abgestuft Bonuspunkte (100, 75 und 50 Punkte) vergeben. Nicht sortenrein rückbaubare Materialien (in der Rückbau-Kategorie B-D) sind mit Störstoffen verunreinigt und bedürfen weiterer Aufbereitungsschritte für die Verwertung.
Die Auswirkungen der Stör- oder Fremdstoffgehalte können auf den End-of-Life-Weg des Hauptstoffes unterschiedlich gravierend sein und werden in 4 Störstoffkategorien klassifiziert (siehe Grafik). Ist eine Trennung der Störstoffe technisch und wirtschaftlich möglich, werden die Aufwände für die Trennung entsprechend der Punkteabstufungen der End-of-Life Klassen von Verwertungs- oder Beseitigungswegen mit erhöhten Aufwänden durch entsprechende Punkteabzüge von der Grundeinstufung des sortenreinen Materials abgebildet.
Je nach Charakterisierung der Störstoffe (kein Fremd-, Stör oder Schadstoff vorhanden – Kategorie S1) bis hin zu unverträglichen Störstoffen (Kategorie S4), die Verwertungen wirtschaftlich verunmöglichen, kommt es zu geringeren oder höheren Abzügen in der End-of-Life-Bewertung der Hauptstoffe. Eingebaute Verbundwerkstoffe (Kompositmaterialien) werden bereits vorab abgestuft. Gleichzeitig erlaubt diese Methode auch eine Erfassung von Materialverlusten durch Stör- und Schadstoffe, die gemeinsam mit dem Hauptstoff verwertet werden.
Kreislauffähigkeit auf Gebäudeebene
Der Indikator Kreislauffähigkeit kann für Baukonstruktionen, für Teilebenen von Baukonstruktionen (z.B. Außen- oder Innenbekleidungen) oder für Gebäude ausgewertet werden und erlaubt eine Darstellung der finalen End-of-Life-Wege unter Berücksichtigung der durch Materialverbünde anfallenden Stör- und Schadstoffe sowie ihrer Auswirkungen auf Aufbereitungsaufwände und Verschlechterungen von Rezyklatqualitäten.
Für eine sensitivere Auswertung der verbauten Mengen auch in Hinblick auf Dämmstoffe, Kunststoffe oder biogene Baumaterialien wird zusätzlich zu einer massenaggregierten Bewertung eine volumensgewichtete Auswertung empfohlen. Bei Bestandsbauten mit verbauten gefahrenrelevanten Stoffen ist dies umso wichtiger, als Dämmstoffe mit gefahrenrelevanten Eigenschaften in einer massenbezogenen Auswertung aufgrund der in der Regel sehr geringen Rohdichten mit ihrem Anteil an der Gesamtmasse des Baukörpers kaum ins Gewicht fallen, bei Volumensbetrachtungen, die letztlich auch die erforderlichen Transportkapazitäten von der Baustelle und Muldenvolumina bestimmen, aber sehr wohl.
Welche Auswirkungen bei der Nachhaltigkeitsbewertung von Konstruktionen der BNB 4.1.4 als Indikator für Rückbaufreundliche Bauweise im Beispielfall von Innendecken hat, zeigt die weitere Grafik: Hier wird eine Stahlbeton-Decke mit abgehängter Akustikdecke und Hohlraumboden (Annahme: Rückbau Stahlbeton mit Betonscheren und sortenreine Trennung in mobilen Brechanlagen vor Ort) verglichen mit einer Stahlbeton-Decke mit Gipsputz, zementgebundene EPS-Ausgleichsschüttung und Heiz-Fließestrich. Im Ergebnis (massengewichtet) sammelt die abgehängte Decke 58,5 Punkte, während die verputzte und verklebte Decke nur 0,06 Punkte sammeln konnte. Aus diesem Beispiel lässt sich die Erwartung ableiten, dass das neue Bewertungssystem wichtig für künftige Planungsprozesse werden wird.