Einigung über EU-Lieferkettengesetz
Nach langem Ringen wurde das CSDDD jetzt auch von den EU-Staaten gebilligt, der Rest scheint nur Formsache. Nun kommt es darauf an, praktische Instrumente zur Umsetzung zu entwickeln, um vor allem kleine Unternehmen zu entlasten.
Nach wochenlangen Debatten hat am 14. März die qualifizierte Mehrheit der EU-Staaten für ein gemeinsames europäisches Lieferkettengesetz, die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), gestimmt - trotz der Enthaltung Deutschlands auf Drängen der FDP, die als Nein gewertet wurde. Für die Annahme fand sich eine Mehrheit von mindestens 15 Mitgliedstaaten mit einem EU-Bevölkerungsanteil von mindestens 65 Prozent. Den Ausschlag für die nötige Mehrheit gab Italien, das das Gesetz gemeinsam mit eine Reihe anderer Staaten, allen voran Deutschland, lange blockiert hatte. Das Europäische Parlament muss der Vorlage nun noch zustimmen, dies gilt aber als Formsache. Damit könnte das Vorhaben bis zur Europawahl im Juni doch noch abgeschlossen werden.
Das Gesetz soll dafür sorgen, dass große europäische Unternehmen die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards in ihren Lieferketten sicherstellen - also auch bei ihren Lieferanten. Die Unternehmen können vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Sie müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit dem Pariser Abkommen zum Klimawandel vereinbar sind.
Weniger streng als von Kommission und EU-Parlament gewünscht
Der angenommene Gesetzentwurf sieht dabei weniger strenge Regeln vor als der ursprüngliche Entwurf, auf den sich Kommission und EU-Parlament im Dezember geeinigt hatten. Danach sollte das EU-Lieferkettengesetz bereits für Unternehmen ab 500 Beschäftigten mit einem globalen Umsatz von mehr als 150 Millionen Euro im Jahr gelten. Der neue Entwurf gilt nun für Unternehmen ab 1.000 Beschäftigten mit jährlichen Umsätzen von 450 Millionen Euro - nach einer Übergangsfrist von fünf Jahren, während der der Kreis der betroffenen Unternehmen stufenweise erweitert wird: Nach einer Übergangsfrist von drei Jahren sollen die Vorgaben zunächst für Firmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten und mehr als 1,5 Milliarden Euro Umsatz weltweit gelten, nach vier Jahren sinkt die Grenze auf 4.000 Mitarbeitende und 900 Millionen Umsatz. Zudem wurden sogenannte Hochrisikosektoren gestrichen, also Wirtschaftszweige, in denen das Risiko für Menschenrechtsverletzungen besonders groß ist, wie etwa in der Landwirtschaft oder der Textilindustrie. Dort hätten auch Unternehmen mit weniger Mitarbeitenden betroffen sein können. Auch die ressourcenintensive Bauwirtschaft soll künftig nicht mehr als Risikosektor gelten.
Unterschiede zum deutschen Lieferkettengesetz
Deutschland muss sein nationales Gesetz an die EU-Vorgaben anpassen, sobald diese endgültig verabschiedet sind. Die Unterschiede sind nicht marginal: Ein wesentliches Element des EU-Lieferkettengesetzes im Unterschied zum deutschen Pendant ist, dass Unternehmen vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn sie von Menschenrechtsverletzungen profitieren. Diese Möglichkeit einer zivilrechtlichen Haftung auf EU-Ebene wurde nun allerdings abgeschwächt: Unternehmen haften anders als von der Kommission vorgeschlagen nur, wenn sie ihre Pflichten zur Kontrolle der Lieferketten vorsätzlich oder fahrlässig vernachlässigt haben. Zwar ist die Zahl der deutschen Unternehmen, die künftig unter die Richtlinie fallen, geringer als beim deutschen Lieferkettengesetz. Das zieht die Schwelle zwar ebenfalls bei 1.000 Mitarbeitern, kennt jedoch keine Umsatzschwelle. Aber anders als im deutschen Gesetz müssen die Unternehmen ihre gesamte Lieferkette – auch die Zulieferer der Zulieferer und deren Zulieferer – auf Verstöße gegen die Menschen- und Arbeitsrechte und den Umweltschutz untersuchen. Auch die Kontrolle von Umweltverstößen ist verglichen mit dem deutschen Lieferkettengesetz strenger. Die Belastung der Unternehmen durch Kontrollpflichten wird indes dadurch gemindert, dass ein risikobasierter Ansatz gilt. Sitzt ein Zulieferer etwa in einem EU-Land, ist im Grunde keine Prüfung nötig, sofern er nicht seinerseits seine Waren beispielsweise aus Asien oder Afrika bezieht. Ursprünglich sollten die Kontrollen auch „Downstream“ die Absatzkette bis hin zur Abfallentsorgung überprüfen. Das gilt nun nur noch für die direkten Abnehmer.
Geteilte Reaktionen auf die Entscheidung
In Deutschland begrüßten Politiker von SPD und Grünen die Entscheidung in Brüssel. So sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), sie sei "gut für die Menschenrechte und die deutsche Wirtschaft, denn dadurch schaffen wir faire Wettbewerbsbedingungen für alle Unternehmen in Europa." Auch die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Yasmin Fahimi, begrüßte die Einigung. Die Vorsitzende des Binnenmarktausschusses im EU-Parlament, Anna Cavazzini (Grüne), kritisierte hingegen: "Deals zwischen Regierungen und immer weitere Abschwächungen eines ausgehandelten Texts haben das etablierte Gesetzgebungsverfahren missachtet und das Europaparlament düpiert."
Überwiegend positiv auch die Haltung der Umweltverbände. Patrick Rohde, stellvertretender Geschäftsführer des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), bezeichnete die Einigung als "gutes Signal". Damit werde der Weg frei für einheitliche Wettbewerbsbedingungen in der gesamten EU. "Das sind gute Nachrichten für mehr Menschenrechte, mehr Klimagerechtigkeit und ebnet dringend notwendigen Innovationen im Umweltschutz den Weg." Die Deutsche Umwelthilfe wertete die Einigung zwar als "wichtigen Zwischenschritt". Sie kritisierte jedoch, dass das Gesetz erneut abgeschwächt worden sei und erst ab 2032 vollumfänglich gelten solle. Die Menschenrechtsorganisation Oxfam sprach von einem "Meilenstein mit Abstrichen". Wichtige Punkte seien auf der Zielgeraden verwässert worden.
Auch einige deutsche Unternehmen, darunter die Supermarktkette Aldi Süd, der Chemie- und Pharmakonzern Bayer, der Lebensmittelkonzern Mars, der Textildiscounter KiK oder die Kaffeekette Tchibo, signalisierten im Februar ihre Zustimmung zum EU-Lieferkettengesetz. Sie orientieren sich nach eigenen Angaben bereits an UN- oder OECD-Standards bei Umweltschutz und Menschenrechten und meinen: "Die Vorgaben der CSDDD sind aus unserer Sicht angemessen und umsetzbar." Die Konzerne sehen eine Verbesserung des Wettbewerbs: "Insbesondere für deutsche Unternehmen, die das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz einhalten, bedeutet eine europaweite Regelung, dass Wettbewerbsvorteile auf Kosten von Mensch und Umwelt endlich unterbunden werden."
Kritisch gesehen wird das EU-Lieferkettengesetz hingegen weiterhin von Teilen der Industrie: Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Siegfried Russwurm, beklagte, das Gesetz sei ein weiterer Rückschlag für Europas Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten. "Das Ergebnis ist kein Sieg für die Menschenrechte, sondern ein Sieg für die Bürokratie", erklärte auch der Präsident des Außenhandelsverbandes BGA, Dirk Jandura. Vertreter der Wirtschaft hatten zuletzt darauf gehofft, dass das Vorhaben zunächst gestoppt wird. Sie befürchten Schwierigkeiten vor allem für kleine und mittlere Unternehmen. Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), sprach von einer "schlechten Nachricht". Schwannecke führte die negativen Erfahrungen mit dem deutschen Lieferkettengesetz an, um die Probleme zu verdeutlichen: "Die Auftraggeber drücken ihre Geschäftsbedingungen unverändert auf ihre Zulieferer durch, unabhängig davon, ob diese regional, national, in der EU oder weltweit tätig sind." Wolfgang Weber, Vorsitzender der ZVEI-Geschäftsführung, sprach von einem "unerwarteten Rückschlag", der der "Überregulierung und der Überbürokratisierung in der EU" Vorschub leiste. Damit würden die mittelständischen Unternehmen in Europa nun mit Pflichten konfrontiert, die sie nicht einhalten könnten. Weber sagte: "So schwächt sich Europa abermals selbst."
Die nötigen praktischen Instrumente müssen noch entwickelt werden
Die Sorge, dass die großen Konzerne ihre Haftung nach dem EU-Lieferkettengesetz auf ihre mittelständischen Zulieferer überwälzen, scheint nicht unbegründet. Derzeit können nur große Unternehmen, die entweder eine große Fertigungstiefe haben oder die entsprechende Marktmacht besitzen, ihre Zulieferer zu Auskünften zu zwingen, den Verpflichtungen des Gesetzes nachkommen. Ganze Regionen wie beispielsweise China sind für Menschenrechts- und Umweltfragen nicht transparent, in ganzen Branchen wie der Petrochemie ist die Rohstoffherkunft letztlich nicht nachweisbar.
Auch in dem 2023 abgeschlossenen Projekt "Nachhaltigkeit durch Transparenz in der Lieferkette Bau" (NaLiBau) hatte natureplus die Erfahrung gemacht, dass es derzeit für kleine und mittelständische Unternehmen im Baubereich de facto unmöglich ist, eine "saubere" Lieferkette nachzuweisen. Es fehlen insbesondere praktische Instrumente, um die nötige Transparenz zu schaffen. Im Rahmen des NaLiBau-Projekts hatte natureplus eine gemeinsame Deklarationsplattform vorgeschlagen, um Unternehmen der Baubranche ein Instrument zur Untersuchung und Deklaration der eigenen Lieferketten an die Hand zu geben. Aktuell gibt es ein solches Instrument weder für die Bauwirtschaft noch für die meisten anderen Branchen. Brauchbare Herkunftsnachweise, die bereits heute Lieferketten von der Rohstoffquelle bis zum Endprodukt durchleuchten und verifizieren, liefern bislang nur Chain-of-Custody-Label wie beispielsweise Fairtrade und Fairwear oder GOTS bei Textilien. Im Baubereich sind solche Label wie FSC vorwiegend für holzbasierte Produkte etabliert.
Die Übergangsfrist nutzen
Jetzt wird es also in den ersten drei Jahren der Übergangsfrist darauf ankommen, neue, praxisorientierte und pragmatisch angelegte Instrumente zu entwickeln, um rechtlich verbindlich die Unternehmen bei der Nachweispflicht zu entlasten. Der deutsche Software-Riese SAP gibt sich dabei zuversichtlich: "Die digitale Transformation und immer ausgereiftere Technologien für die digitale Supply Chain tragen wesentlich dazu bei, Lieferketten nachhaltiger zu machen. Big-Data-Management, innovative Analyselösungen, künstliche Intelligenz (KI) und Sicherheitswerkzeuge wie Blockchain und RFID-Sensoren sorgen in modernen Lieferketten für ein noch nie dagewesenes Maß an Transparenz und Kontrolle. Die Unternehmen sind jetzt viel besser in der Lage – und in der Pflicht –, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und ihre Best Practices für umweltfreundliche Lieferketten und nachhaltige Logistik mit anderen zu teilen", heißt es in einer SAP-Publikation. Aber auch unterhalb von Big-Data gibt es pragmatische Ansätze: So plädiert dm-Chef Christoph Werner für Handelsabkommen und Siegel, die die Einhaltung von Standards nachweisen. Von Franz Staberhofer, FH Oberösterreich, wurde eine Listenregelung vorgeschlagen, bei der alle Unternehmen, die „freigegeben“ sind, auf einer Whitelist erfasst würden. Die Unternehmen müssten somit nicht immer wieder einzeln dasselbe Prozedere durchlaufen. "Damit würde man das Ziel des Lieferkettengesetzes wieder in den Mittelpunkt stellen: die Nachhaltigkeit."