Kann Zement klimafreundlicher werden?
Strenge Vorschriften für die Zusammensetzung von Zement behindern aus Sicht einer Initiative den Klimaschutz. Die Standards müssten grundlegend reformiert werden, fordert die ALCCC, um die Emissionen aus der Zementindustrie um mehr als 50 Prozent zu senken.
Mit dem Werbespruch "Beton - es kommt darauf an, was man draus macht" versuchte die Industrie in den 1970er Jahren das schon immer problematische Image dieses in vielen Bereichen unverzichtbaren Baustoffs aufzupolieren. Heute müsste es eigentlich heißen "es kommt darauf an, was drin ist". Denn der wichtigste Betonbestandteil Zement gilt als Klimakiller, seine Herstellung allein ist für sieben bis acht Prozent der globalen CO2-Emissionen zuständig. Die Zementindustrie ist damit eine der klimaschädlichsten Industriezweige überhaupt, anders als in anderen Branchen stiegen ihre CO2-Emissionen zwischen 2015 und 2022 jedes Jahr um 1,5%. Das liegt vor allem an der Herstellung des Zementklinkers, bei der Kalkstein und Ton auf mehr als 1400 Grad Celsius erhitzt werden. Bei diesem Brennvorgang entweicht prozessbedingt CO2 aus dem Kalkstein, außerdem entsteht CO2 durch die Nutzung fossiler Brennstoffe.
Die ALCCC-Initiative
Die Reduzierung des Klinker-Anteils am Zement könnte also helfen, den CO2-Fußabdruck von Zement und Beton deutlich zu reduzieren. Dies fordert die neue Organisation "Alliance for Low-Carbon Cement & Concrete (ALCCC)" in einem im Mai 2023 erschienenen Bericht. Die ALCCC ist ein Zusammenschluss verschiedener industrienaher Initiativen, die zur Erreichung der europäischen Klimaziele Null-Emissionen für Zement und Beton bis 2040 anstreben. Eine Reduktion des Klinker-Zement-Verhältnisses „könnte die Emissionen dieser Industrie um die Hälfte reduzieren“, heißt es in dem Bericht. Die Einschätzung stützt sich auf Berechnungen des gemeinnützigen New Climate Institute. In dem optimistischsten Szenario schrumpft das Klinker-Zement-Verhältnis von 78,1 Prozent im Jahr 2020 auf 40 Prozent im Jahr 2050. Daneben setzt die ALCCC zudem auf CO2-freie Brennstoffe und auf Verfahren, das bei der Zementherstellung anfallende CO2 abzuscheiden, zu nutzen und zu speichern (CCUS) - alles nach Einschätzung der Initiative "einsatzbereite Lösungen", um die Wertschöpfungskette der Zementindustrie kosteneffizient und schnell zu dekarbonisieren.
Performance-Orientierung ist gefragt
Voraussetzung dafür ist nach Ansicht der ALCCC, dass eine Reihe von übermäßig präskriptiven Vorschriften, die die Markteinführung von kohlenstoffarmem Zement und Beton verhindern, aufgehoben werden. Die Allianz hat bei ihren Reformvorschlägen die sechs definierten europäischen „Zementfamilien“ (CEM I bis CEM VI) in den Blick genommen. Diese industriellen Standards folgten der Logik der Material-Zusammensetzungen und nicht jener der „Performance“ – also der Frage, welche Leistung der Zement erbringen soll, wie langlebig, nachhaltig und druckstabil er sein muss. Die aus ALCCC-Sicht veralteten Vorschriften würden somit besonders hohe Klinkeranteile im Zement erzwingen. Daher sei es von entscheidender Bedeutung, neue, leistungsbasierte Standards zu etablieren.
Die Initiative schlägt vier Schritte auf dem Weg zum Wandel in der Zementindustrie vor: Zum einen müsse die Europäische Kommission die Entwicklung performancebasierter Standards anfragen – und zwar beim zuständigen CEN, dem Europäischen Komitee für Normung. Zweitens müsste das CEN nach Annahme der Anfrage die leistungsbasierten Standards beschleunigt entwickeln und drittens auch die Prüfstandards für Zement überarbeiten und anpassen. Im vierten Schritt sollen das CEN und die nationalen Behörden die Standards für Beton neu auflegen, damit die Bauindustrie die Beton-Varianten mit klimaschonenderem Zement auch tatsächlich einsetzen kann.
"Es ist an der Zeit, den Trend umzukehren und dafür zu sorgen, dass Normen zu einem Innovationstreiber werden, der die schnelle Marktakzeptanz bereits existierender kohlenstoffarmer Lösungen fördert", betont die Allianz. Daneben bedürfe die Markteinführung klimaschonenden Zements einer Förderung der öffentlichen Hand auf allen Ebenen im Rahmen der umweltfreundlichen Beschaffung sowie gezielter Finanzierungsinstrumente. So könnte die EU die klimafreundliche Innovation in der Branche weiter beschleunigen.