Kommt die Sanierungspflicht für Altbauten?
Die EU-Politik arbeitet aktuell an einer Neufassung der Gebäudeeffizienzrichtlinie (EPBD), um bis 2050 den Gebäudebestand klimaneutral zu machen. Umstritten ist dabei, ob es eine Sanierungsverpflichtung für besonders ineffiziente Altbauten geben soll. Umwelt und Sozialverbände befürworten dies.
Bereits im Dezember 2021 hatte die Europäische Kommission ihre Überarbeitung der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden (Energy Performance of Buildings Directive, EPBD) vorgelegt. Die überarbeitete Gebäuderichtlinie gehört zum klimapolitischen Großprojekt „Fit for 55“, mit dem die gesamte europäische Gesetzgebung in Energie- und Klimafragen neu aufgestellt werden soll. Im März 2023 hat das Europäische Parlament diesen Entwurf mit einigen Änderungen verabschiedet, nun sind in den abschließenden "Trilog"-Verhandlungen neben Kommission und Parlament auch die im Ministerrat organisierten Fachministerinnen und Fachminister der Mitgliedstaaten (in Deutschland das Wirtschafts- und Bauministerium) mit dieser Richtlinie befasst. "Die Positionen weichen noch voneinander ab, insofern gilt es einen Kompromiss zu finden", berichtet der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB). Noch ist also unklar, wann die EPBD in Kraft tritt. In jedem Fall muss die Richtlinie anschließend an die EU-Entscheidung in Deutschland noch umgesetzt werden. Dies soll durch eine weitere Änderung des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) erfolgen. Der ZDB vermutet lt. Deutscher Handwerkszeitung, "dass uns diese Debatte im kommenden Jahr bevorsteht".
Worum geht es?
Die Europäische Union möchte klimaneutral werden. Dabei nimmt sie nicht nur Verkehr oder Landwirtschaft, sondern auch den Gebäudesektor ins Visier. Nach Angaben der EU‑Kommission sind Gebäude für rund 40 Prozent des Energieverbrauchs und rund ein Drittel der Treibhausgasemissionen in den 28 Mitgliedsstaaten verantwortlich. Bis 2050 sollen alle Gebäude in der Europäischen Union emissionsfrei sein und möglichst ohne fossile Energieträger auskommen. Für dieses Ziel sollen Neubauten und der Gebäudebestand gestaffelt angegangen werden: Nach den beschlossenen Änderungswünschen des Parlaments sollen Neubauten ab 2028 emissionsfrei sein. Für Neubauten, die Behörden nutzen, betreiben oder besitzen, soll das schon ab 2026 gelten. Außerdem sollen alle Neubauten bis 2028 mit Solaranlagen ausgestattet werden, sofern dies technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar ist. Bei Wohngebäuden, bei denen dafür größere Renovierungen nötig sind, bleibt dafür bis 2032 Zeit. Der sogenannte "Nullemissionsgebäude Standard" bedeutet, dass die Gebäude wenig Energie verbrauchen, so weit wie möglich mit erneuerbaren Energien betrieben werden, vor Ort keine Emissionen aus fossilen Brennstoffen ausstoßen und ihr Treibhauspotenzial auf der Grundlage ihrer Emissionen über den gesamten Lebenszyklus in ihrem Energieausweis angeben müssen.
Paradigmenwechsel
Zwar sind diese Ziele für den Neubau ehrgeizig, aber nicht ausreichend. Denn es ist vollkommen klar, dass die Treibhausgasemissionen der Abermillionen von Bestandsgebäuden von Lissabon bis Helsinki das eigentliche Problem darstellen. Was die EU-Pläne für den Gebäudebestand angeht, spricht die Bundesarchitektenkammer (BAK) anerkennend von einem "Paradigmenwechsel": Denn in dem Richtlinienentwurf beschreibt die EU-Kommission nicht nur die Wegetappen zum gemeinsam vereinbarten Ziel, klimaneutraler Gebäudebestand spätestens 2050, sondern sie schreibt den Mitgliedstaaten auch die fristgerechte Realisierung dieser Wegetappen vor. "Dieses Eindeutige und Verpflichtende des aktuellen EPBD Vorschlags macht den eigentlichen Unterschied zu den Vorgängerversionen", findet die BAK. Mit nationalen Gebäuderenovierungsplänen wird den Mitgliedstaaten zudem ein bindendes Reporting auferlegt. Vor allem die Sanierungsverpflichtung für Gebäude rief bereits im Europaparlament und auch jetzt bei den aktuellen Verhandlungen des Ministerrats heftige Gegenreaktionen hervor.
„Worst first“ - Sanierungspflichten für die energetisch schlechtesten Bestandsgebäude
Das Herzstück der überarbeiteten EPBD ist die Verankerung EU-weiter Mindesteffizienzstandards für den Gebäudebestand (Minimum Energy Performance Standards, kurz MEPS). Zunächst sollen mit diesem Instrument gezielt die Gebäude mit den höchsten Energieverbräuchen angegangen werden. Auf einer Skala von A bis G – wobei die Energieeffizienzklasse G den 15 % der Gebäude mit den schlechtesten Werten im Gebäudebestand eines Mitgliedstaats entspricht – müssen Wohngebäude dem Vorschlag zufolge bis 2030 mindestens Klasse E und bis 2033 Klasse D erreichen. Nichtwohngebäude und öffentliche Gebäude müssen diese Energieeffizienzklassen bis 2027 bzw. bis 2030 erreichen. (Zur Einordnung: Ein Gebäude der besten Klasse A entspricht in Deutschland der aktuellen Norm EH55.) Zusätzlich sollen für Nullemissionsgebäude und Häuser, die einen Energieüberschuss leisten, zusätzliche Klassen (A0, A+) geschaffen werden. Gleichzeitig wurde beschlossen, die Sanierungspflichten mit Förderprogrammen und umfangreichen Ausnahmeregelungen zu flankieren. Zu den Ausnahmen zählen in bestimmten Fällen Sozialwohnungen und technische Gebäude. Außerdem sollen die Vorschriften nicht für Denkmäler gelten oder für Gebäude, die wegen ihres historischen oder architektonischen Wertes unter Schutz stehen.
Ungeklärte Details
Viele grundlegende Details sind derzeit noch ungeklärt. So weiß man bisher nicht, wie eine europaweite Harmonisierung der Energieeffizienzklassen funktioniert, die zunächst jedes Mitgliedsland entsprechend seinem spezifischen Gebäudeinventar festlegen soll. So werden vermutlich trotz dieser Harmonisierung die Effizienzklassen der einzelnen Mitgliedstaaten nicht miteinander vergleichbar sein. Das hängt allein schon damit zusammen, dass die schlechtesten 15% des Gebäudebestands in Deutschland einen anderen energetischen Standard haben als beispielsweise die schlechtesten 15% in Belgien. Folglich heißt Klasse G in Deutschland etwas anderes als in Belgien. Auch ist noch unklar, wie alle Gebäude in Europa einer Effizienzklasse zugeordnet werden sollen. Noch nicht einmal in Deutschland sind die entsprechenden Voraussetzungen vorhanden, merkt die BAK kritisch an: In Deutschland gibt es rund 19 Millionen Wohngebäude und rund 2 Millionen beheizte Nichtwohngebäude (dena Gebäudereport 2022). Für eine große Zahl dieser Gebäude liegt (aufgrund nicht vorhandener Vorlagepflichten) kein Energieausweis vor. Und falls doch, gibt es keine zentrale Datenbank mit den Kennwerten der Gebäude.
Auch was dieser Ausweis für Informationen enthält und wer ihn erstellt, ist noch unklar. So wäre es aus Sicht der BAK konsequent, Treibhausgas-Emissionen nicht nur, wie vorgesehen, als "ergänzende" Größe einzuführen, sondern – anstelle des Primärenergiebedarfs – als Hauptanforderung, "um Entscheidungen in Richtung dekarbonisierter Lösungen zu lenken". Die BAK begrüßt deshalb, dass ab 2030 bei allen Neubauten die Lebenszyklus-THG-Emissionen zu ermitteln und über den Energieausweis mitzuteilen sind. Das sei "ein erster Schritt hin zu einer stärkeren Berücksichtigung der Lebenszyklusbilanz von Gebäuden und perspektivisch einer Kreislaufwirtschaft". Auch wie diese Mitteilung der Lebenszyklus-THG-Emissionen erfolgen soll, ist noch unklar.
Eine weitere Herausforderung sieht die BAK in der Wahl des Zeitpunktes für das Inkrafttreten von Sanierungspflichten: "Der 'richtige' Zeitpunkt für eine energetische Sanierung ist bei jedem Gebäude unterschiedlich." Ausschlaggebend sei der Zeitpunkt, zu dem letztmalig eine energetische Veränderung an einem Gebäude stattgefunden hat. Um Gebäudeeigentümern hinsichtlich des Timings Spielraum und Sicherheit zu gewährleisten, sollten die Sanierungspflichten mit angemessen langem Vorlauf kommuniziert werden. Deshalb rät die BAK zu gebäudeindividuellen Sanierungsfahrplänen. Inwieweit diese in die jeweiligen Energieausweise Einzug finden, ist ebenso noch Gegenstand der Verhandlungen.
Stein des Anstoßes: die Minimum Energy Performance Standards (MEPS)
Abgesehen von diesen Unklarheiten im Detail sehen viele Konservative in EU-Parlament und auch einige Regierungen, beispielsweise aus Italien oder Polen, die aus den MEPS resultierenden Sanierungsverpflichtungen für Hausbesitzer mit konkreten Zeitvorgaben kritisch. Die Menschen würden durch diese Verpflichtungen überfordert und bevormundet. Bei den laufenden Verhandlungen wollen sie die ambitionierten Vorgaben des Parlaments entschärfen. Aber auch die Bundesregierung, bisher eine Befürworterin der EPBD, äußert Bedenken. Bauministerin Klara Geywitz sagte im März der „Bild am Sonntag“: „Ich werde als Bauministerin keinen Vorschlag unterstützen, der einen technischen Sanierungszwang für einzelne Gebäude vorsieht.“ Bisher setze die Gebäuderichtlinie auf Anforderungen an Einzelgebäude, so ein Sprecher, das Bauministerium präferiere hingegen einen Quartiersansatz. Auch nach Ansicht der BAK ist es wichtig, dass Fernwärme, kommunale Wärmenetze, Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften oder der Bezug von Strom aus dem Netz als Erfüllungsoptionen anerkannt werden. Denn vor allem im Gebäudebestand besteht oftmals gar nicht die Möglichkeit, gebäudeindividuell auf eine autarke Versorgung mit erneuerbaren Energien umzusteigen. Auch das Wirtschaftsministerium hält sich nach den negativen Erfahrungen mit dem GEG bedeckt und verfolgt nach Presseberichten in den laufenden Trilogverhandlungen „lebensnahe Regelungen, die niemanden überfordern und gleichzeitig die Klimaneutralität sicherstellen“.
Reaktion der Umwelt- und Verbraucherverbände
Unlängst forderte ein breites Bündnis aus Umwelt-, Verbraucherschutz-, Wohlfahrts- und Sozialverbänden die Bundesregierung auf, sich in den Verhandlungen weiterhin für die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Mindesteffizienzstandards von Gebäuden (MEPS) einzusetzen. "Die MEPS bieten - sozial flankiert - die große Chance, den Klimaschutz im Gebäudesektor verbraucherfreundlich und sozial gerecht zu adressieren." Die Bundesregierung solle dringend notwendige Klimaschutzmaßnahmen nicht gegen Soziales ausspielen. Die Verbände weisen darauf hin, dass die Unterstützung des EU-Kommissionsvorschlags einschließlich der MEPS im Koalitionsvertrag und im Gebäude-Sofortprogramm 2022 festgeschrieben war. "Aktuell scheint die Bundesregierung diese Position jedoch deutlich aufzuweichen", fürchtet der Umweltdachverband Deutscher Naturschutzring (DNR), der das Verbändebündnis koordiniert.
Dessen Geschäftsführer Florian Schöne kommentiert: „Gebäude sind die entscheidende Stellschraube für besseren Klimaschutz in Europa. Daher muss die Bundesregierung bei den Trilogverhandlungen nun zu ihrem Wort stehen und sich für Mindeststandards bei der Sanierung von Bestandsgebäuden mit den höchsten Energieverlusten einsetzen. Diese Standards sind nicht nur aus Sicht des Klimaschutzes von größter Bedeutung, sondern auch ein Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit, da gerade Haushalte mit niedrigem Einkommen überproportional häufig in schlecht sanierten Häusern leben und somit von Hitze, Kälte und hohen Energiepreisen am stärksten betroffen sind.“ Für den Erfolg der dringend nötigen Sanierungswelle brauche es ambitionierte, gebäudescharfe und EU-weite Mindesteffizienzstandards, sozial flankiert zum Schutz von Haushalten mit niedrigem Einkommen.
Auch für Patrick Biegon, Referent für Energie und Bauen des Verbraucherzentrale Bundesverbandes, ist wichtig, dass die Bundesregierung nun Kurs halte. „Sie muss bei ihrer im Koalitionsvertrag vereinbarten Zustimmung zum Kommissionsvorschlag zur Gebäuderichtlinie bleiben“, fordert Biegon. „Ohne eine ambitionierte Position der Bundesregierung droht die Richtlinie stark abgeschwächt zu werden“, sagt er. Das wäre nicht im Verbraucherinteresse, weil es ohne eindeutige Vorgaben keine Planungssicherheit für alle Beteiligten gebe. Ausschlaggebend sei, dass die staatliche finanzielle Unterstützung ausreichend hoch und sozial gerecht ausgestaltet sei. Zentral sei auch, dass die Kosten für den Klimaschutz im Gebäudesektor nicht einseitig auf die Mieterinnen und Mieter abgewälzt werden dürfte, so der Verbraucherschützer.
Die Deutsche Umwelthilfe begrüßt den Vorstoß für eine verbindliche Verankerung der Mindesteffizienzstandards (MEPS) für Bestandsgebäude. „Mit diesem Instrument sollen gezielt die sogenannten worst performing buildings, also die energetisch schlechtesten Gebäude mit dem höchsten CO₂‑Ausstoß adressiert werden“, sagt Bundesgeschäftsführerin Barbara Metz. Das sei ein wichtiger Ansatz, um sowohl beim Klimaschutz im Gebäudesektor voranzukommen, als auch gezielt Bewohnerinnen und Bewohner vor hohen Energiepreisen und Energiearmut zu schützen. Sie begrüßte, dass besonders öffentliche Gebäude und Nichtwohngebäude mit vorgezogenen Fristen im Fokus stünden, die häufig besonders schlechte Energiekernwerte aufwiesen.
Die Position von natureplus
Aus Sicht von natureplus ist es wichtig, aus den Fehlern zu lernen, die beim sogenannten "Heizungsgesetz", also der Novelle des GEG, in Deutschland gemacht wurden. Von der Grundanlage her ist die EPBD besser gelungen, weil sie ihr Ziel (Klimaneutralität bis 2050) klar benennt, an der Gebäudesubstanz ansetzt, die energetisch schlechtesten Gebäude adressiert, die ohnehin zur Sanierung anstehen, viele Wege zum Ziel offenlässt, von vorneherein eine soziale Flankierung aus dem europäischen Transformationsfonds vorsieht und durch die allgemeine Gebäudeklassifizierung auch für alle Ebenen (Mieter, Eigentümer, Kommunen) Orientierung schafft. Jetzt wird es darauf ankommen, in der weiteren Erörterung der EU-Richtlinie die gebäudescharfen Energieausweise inhaltlich zu Sanierungsfahrplänen aufzuwerten und die Planung auf die Ebene der Quartiere zu heben, um kollektive Ansätze wie Wärmenetze zu stärken. Die graue Energie, die in den Materialien und technischen Einrichtungen steckt, muss noch wichtiger gemacht werden, um einen behutsamen Umgang mit der Gebäudesubstanz zu fördern. Die hauptsächlich umstrittenen starren Auslösedaten für die Sanierungsverpflichtung wären nicht notwendig, wenn durch verbindliche individuelle Sanierungsfahrpläne gewährleistet ist, dass die Klimaziele eingehalten werden.