Tragende Stampflehmwand aus lokal gewonnenem Erdaushub mit eingearbeiteten farbigen Lehmen. Bild: Luis Casanova

Nachhaltige Baustoffe

Nachwachsende Lösungen

Zukunftsperspektiven, Chancen und Herausforderungen. Der Bausektor hat weitreichende Auswirkungen auf unsere Ökosysteme und steht daher im Zentrum aktueller Nachhaltigkeitsdiskussionen. Naturbaustoffe eröffnen hier Potenziale für ein klimagerechtes, ressourcenschonendes und wohngesundes Bauen.

November 19, 2025

Stell dir Baumaterialien vor, die nicht nur aus der Erde stammen, sondern nach ihrer Nutzung, ohne der Umwelt zu schaden wieder in den natürlichen Kreislauf zurückgeführt werden können. Materialien, die die Fähigkeit besitzen, das Raumklima in unseren Gebäuden zu verbessern, indem sie Feuchtigkeit regulieren, die Luftqualität fördern und keine schädlichen Emissionen freisetzen. Sie schonen wertvolle Ressourcen und tragen wirksam zum Klimaschutz bei, da ihre Herstellung kaum oder gar kein CO2 verursacht und ihre positiven bauphysikalischen Eigenschaften den Energiebedarf für Heizung und Kühlung in unseren Gebäuden deutlich senken können. Diese Materialien sind keine Erfindung der Zukunft, sondern seit Jahrtausenden Teil unserer Baukultur. Heute geht es darum, Materialien wie Holz, Lehm oder Stroh mit aktuellem Wissen und moderner Technologie neu zu denken, weiterzuentwickeln und ihre Einsatzbereiche zu erweitern, um sie als technisch ausgereifte Lösungen und zentrale Bestand teile einer ressourcenschonenden und klimafreundlichen Bauweise zu etablieren. Doch was genau macht einen Baustoff nachhaltig und wie lassen sich diese nachhaltigen Materialien in der Praxis einsetzen und systematisch verankern?

Was sind Naturbaustoffe?

Letztlich ist jedes Material der Natur entnommen und insofern „natürlich“. Aber nicht jedes Material kann ohne weiteres in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden. Nach unserem Verständnis sind Naturbaustoffe daher Baustoffe, die aus natürlichen, weitgehend unveränderten biologischen und/oder mineralischen Rohstoffen bestehen. Sie werden mit geringem Energieeinsatz gewonnen, verarbeitet und entsorgt. Sie sind nicht oder nur schwach chemisch behandelt, wiederverwendbar, recycelbar oder können unproblematisch in den Naturkreislauf zurückgeführt werden.

Natürliche Baustoffe zeichnen sich nicht nur durch ihre ökologische Verträglichkeit aus, sondern bieten auch gesundheitliche Vorteile, da sie in der Anwendung keine schädlichen  Emissionen freisetzen und zur Förderung eines gesunden Raumklimas beitragen. In ihrer bauphysikalischen Leistungsfähigkeit stehen Naturbaustoffe konventionellen Materialien in keiner Weise nach, im Gegenteil: Sie ermöglichen deren umfassende Substitution und vereinen dabei zahlreiche ökologische und gesundheitliche Vorteile für Mensch und Umwelt.

Biobasierte Baustoffe als Kohlenstoffspeicher

Biobasierte Baustoffe wie Holz, Hanf, Stroh, Wiesengras, Paludikulturen oder Pilzmyzel stammen häufig aus Neben- oder Reststoffen der Land- und Forstwirtschaft. Sie stammen aus vielfältigen Quellen mit unterschiedlichen Wachstumsraten: Hanf oder andere Gräser zählen zu den schnell nachwachsenden, Holz hingegen zu den langsam nachwachsenden Rohstoffen. Auch Kiri-Bäume und Bambus, die in mehrjährigen Plantagen kultiviert werden, zeichnen sich durch ihr schnelles Wachstum aus und erweitern die regenerative Rohstoffbasis. Das Innovationspotenzial dieser Materialien zeigt sich in der Weiterentwicklung ihrer Nutzungsmöglichkeiten und dem Einsatz moderner Verarbeitungstechniken, etwa in der leimfreien Verbindungstechnik, der CNC-gestützten Vorfertigung und modularer Bauweisen.

CO2-Speicher im Gebäude

Biobasierte Materialien wirken als Kohlenstoffspeicher, wenn sie dauerhaft in die Gebäudestruktur integriert sind. Der gebundene Kohlenstoff bleibt rechnerisch über Jahrzehnte, theoretisch sogar über Jahrhunderte, in der Bausubstanz erhalten. CO₂ wird der Atmosphäre entzogen und etwa in Form von Kohlenstoff im Lignin des Holzes gespeichert. Der Einsatz solcher Materialien senkt den CO₂-Fußabdruck, reduziert graue Energie und schafft über die Lebensdauer des Gebäudes einen Kohlenstoffspeicher.

Ressourcengewinnung mit Co-Benefits

Abfall- und Reststoffe wie Stroh, Wiesengras oder Zellulose-Rezyklate dienen als wertvolle Ressource für die Bauindustrie, etwa für Dämmstoffe, Wandelemente und Faserverbundmaterialien. Sie stehen nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion und stärken die landwirtschaftliche Wertschöpfung. Hanf als Zwischenfrucht verbessert beispielsweise die Bodenqualität und erhöht die Erträge in der Fruchtfolge. Auch Paludikulturen wie Schilfrohr oder Rohrkolben, die in wiedervernässten Mooren angebaut werden, binden Kohlenstoff und liefern gleichzeitig Rohstoffe für Dämmstoffe oder Füllmaterialien. So wird Renaturierung wirtschaftlich attraktiv und eröffnet neue Perspektiven für die Landwirtschaft.

Mineralische Baustoffe im Kreislauf

Mineralische Baustoffe wie Lehm, Sand und Kalk eignen sich aufgrund ihrer Zusammensetzung gut für die stoffliche Wiederverwendung und das Recycling in geschlossenen Materialkreisläufen. Ihr geringer Verarbeitungsaufwand und die meist regionale Verfügbarkeit senken den Energiebedarf und damit den ökologischen Fußabdruck.

Mineralischer Stoffkreislauf

Lehm lässt sich beispielsweise dank seiner Wasserlöslichkeit ohne Qualitätsverlust aufbereiten und erneut in den Bauprozess integrieren, vorausgesetzt er wird sortenrein und ohne Verunreinigungen erfasst. Die Aufbereitung kann direkt auf der Baustelle erfolgen: Durch Einsumpfen wird das Material aufgeschlossen, Siebung ermöglicht die Anpassung der Korngrößen und die Abtrennung organischer Leichtstoffe. So lässt sich Lehm flexibel für unterschiedliche Anwendungen wiederverwenden.

Neue Hybride

Durch den Einsatz geeigneter Zuschlagstoffe lassen sich die Materialeigenschaften natürlicher Baustoffe gezielt anpassen und ihr Einsatzspektrum erweitern, ohne die Kreislauffähigkeit zu beeinträchtigen. Moderne Technologien eröffnen neue Möglichkeiten: Stampflehmwände können effizient vorgefertigt werden, Holz-Lehm-Verbunddecken ermöglichen hybride Bauteile, und der Zusatz pflanzlicher Proteine verbessert die Eigenschaften von Lehm etwa für die Anwendung als Bodenbelag. Pflanzenkohle wird versuchsweise Unterputzen beigemischt, um Kohlenstoff zu speichern und den Einsatz mineralischer Rohstoffe zu reduzieren. Materialkombinationen verknüpfen traditionelles Wissen mit moderner Technologie und Materialwissenschaft und ermöglichen leistungsfähige Werkstoffe mit erweiterten Eigenschaften.

Technische Grenzen

Naturmaterialien bieten ein enormes Potenzial und werden kontinuierlich weiterentwickelt, um den vielfältigen Anforderungen moderner Bauaufgaben gerecht zu werden. Ihre Anwendung erfordert jedoch eine differenzierte Abstimmung auf die jeweiligen baulichen Rahmenbedingungen, um Funktionalität und Qualität bestmöglich zu gewährleisten.

Bewitterung

Ungebrannte mineralische Baustoffe sowie biobasierte Materialien ohne zusätzliche Additive erfordern einen gezielten konstruktiven Schutz vor Feuchtigkeit und Witterungseinflüssen. Ihre Anwendung im Außenbereich stellt daher erhöhte Anforderungen an die Planung und Ausführung, eröffnet aber zugleich Raum für innovative konstruktive Lösungen. In dauerhaft feuchtem Erdreich sind biobasierte Baustoffe nur stark eingeschränkt einsetzbar.

Brandschutz

Wie fossile Baustoffe (z. B. EPS, XPS oder PUR) sind auch biobasierte Baustoffe grundsätzlich brennbar. Ihr Brandverhalten hängt jedoch stark vom Bauteilaufbau ab. In Kombination mit nicht brennbaren, mineralischen Materialien, etwa bei Stroh-Lehm-Konstruktionen, lassen sich hohe Feuerwiderstandsklassen erreichen. Zahlreiche Brandversuche belegen eine signifikante Verzögerung der Entflammung und Brandausbreitung durch beispielsweise lehmgebundene Schichten. Dennoch stellen brandschutztechnische Anforderungen, insbesondere in höheren Gebäude klassen, weiterhin eine planerische und regulatorische Herausforderung dar. Für den mehrgeschossigen Holzbau liegen inzwischen geprüfte, anerkannte Konstruktionslösungen vor, die eine brandschutzkonforme Umsetzung mit biobasierten Materialien ermöglichen. Mit der aktualisierten DIN-Norm für tragendes Lehmsteinmauerwerk ist der Einsatz ungebrannter Lehmsteinen bis Gebäudeklasse 4 nun außerdem unter definierten brandschutztechnischen Bedingungen normgerecht und planungssicher möglich.

Spannweiten

Naturbaustoffe wie Holz, Lehm oder Naturfaserverbunde ermöglichen heute leistungsfähige Trag- und Deckensysteme mit hoher ökologischer und bauphysikalischer Qualität. Besonders im Holzbau wurden in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt, v. a. im mehrgeschossigen Bauen und bei höheren statischen Anforderungen. Große Spannweiten, wie bei Stahl oder Stahlbetonkonstruktionen sind mit Naturbaustoffen jedoch meist nur durch erhöhten Materialeinsatz oder komplexere Bauweisen umsetzbar. So erfordern Holzträger teils zusätzliche Brandschutzmaßnahmen, was Planungsaufwand und Ressourcenbedarf erhöht. Damit stoßen nachhaltige Materialien bei bestimmten Tragwerksanforderungen an konstruktive Grenzen. Ihr Einsatz bleibt dennoch nicht ausgeschlossen, wenn sie gezielt mit ergänzenden Baustoffen kombiniert werden. Zugleich stellt sich die Frage nach dem tatsächlichen Bedarf: Müssen großmaßstäbliche Neubauten mit konventionellen Spannweiten überhaupt neu errichtet werden? Oder lassen sich Raum und Nutzungsbedarfe durch Nachverdichtung, Umnutzung und Sanierung decken? Gerade im Gebäudebestand eröffnen sich für ressourcenschonende Baustoffe vielfältige und wirtschaftlich tragfähige Perspektiven.

Markthürden

Trotz ihrer ökologischen und bauphysikalischen Vorteile finden Naturbaustoffe bislang noch keine breite Anwendung im großen Maßstab, was auf verschiedene marktbezogene Herausforderungen zurückzuführen ist.

Skalierbarkeit und Marktzugang

Viele nachhaltige Baustoffe sind regional verfügbar und werden bereits erfolgreich eingesetzt. Die Herausforderung liegt weniger in der Rohstoffverfügbarkeit als in der begrenzten industriellen Skalierbarkeit und fehlenden Infrastruktur für eine flächendeckende Versorgung. Für große Bauprojekte mangelt es häufig an Kapazitäten, um Materialien in gleichbleibender Qualität, Menge und Verfügbarkeit bereitzustellen, was ihre Integration in konventionelle Planungen und Bauprozesse erschwert.

Kleinere Unternehmen agieren zudem in einem strukturell benachteiligten Wettbewerbsumfeld. Während großindustrielle Anbieter über etablierte Produktionsketten, starke Marktstrukturen und politische Rückendeckung verfügen, stoßen kleinere Hersteller an finanzielle, technische und regulatorische Grenzen. Um ihr Innovationspotenzial auszuschöpfen und nachhaltige Baustoffe wirtschaftlich tragfähig zu etablieren, braucht es gezielte politische Instrumente und passende Förderstrukturen.

Fehlende Standardisierung

Ein weiteres Hindernis für die Marktzulassung von Naturbaustoffen ist das Fehlen einer einheitlichen Normung. Ohne klare, standardisierte Vorgaben für Qualitätssicherung und Zertifizierung variieren die Anforderungen je nach Land und Region, was insbesondere kleineren Unternehmen den Zugang zum Markt erschwert. Zudem fehlen verbindliche Einordnungen dieser Materialien in bestehende Baunormen.

Die Zukunft bringt Vielfalt

Die Zukunft dieser Materialien hat längst begonnen: Auf einer kleinen dezentralen Fabrikeinheit im schwäbischen Land spiegeln PV-Module das Sonnenlicht. Resthölzer aus umliegenden Sägewerken und Altholz aus dem Rückbau werden von einem Roboter gescannt und klassifiziert. Eine kleine modulare Robotik-Einheit produziert daraus neue Holz Elemente. Stück für Stück formen die Maschinen ein Wandelement. Der Maß stab ist klein, aber die Produktion unermüdlich.

Was früher als Abfall galt, wird heute zu einem wertvollen Baustoff. Neue Produktionsweisen, digitale Prozesse und zirkuläre Materialflüsse verändern den Bausektor – schnell, konkret und dezentral. Selbst große Hersteller diversifizieren ihr Portfolio mit Naturmaterialien, während Startups den Marktzugang gefunden haben und ihre Produktion ausweiten. Das schafft regionale Arbeitsplätze und fördert einen vielfältigeren Wettbewerb.

Es zeichnet sich ab, dass die Markhürden politisch und gesellschaftlich angegangen werden, so kündigen sich beispielsweise neue EU-Zertifizierungen für kohlenstoffhaltige Materialien an. Diese könnten entscheidende finanzielle Anreize bieten und biobasierte Bauprodukte wettbewerbsfähiger machen.

Der Gebäudetyp E in den Landesbauordnungen bietet alternativen Ansätzen die Möglichkeit, das bisher starre Baurecht zu lockern und neue Wege zu gehen. Die Lockerungen im Werkvertragsrecht geben Baufirmen und Generalunternehmern neue Freiräume und lassen sinnvolle Abweichungen von den “anerkannten Regeln der Technik” zu und umfassen dennoch Bestimmungen zur Gewährleistung.

Der gesamte Baustoffsektor transformiert sich gerade und auch große Anbieter entwickeln neue Lösungen. Naturbaustoffe haben daran einen wachsenden Anteil, technisch aufwändigere Produkte werden den noch weiterhin relevant bleiben. Ziel muss es sein, das Bewusstsein herzustellen, dass für viele Anwendungen einfache, zukunftstaugliche Lösungen existieren und stetig neu hinzukommen.

Der Artikel erscheint im Buch Naturbaustoffe von Cradle.

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Autorin
Barbara Beetz
Wissenschaftliche Mitarbeiterin nachhaltiges Bauen
Autor
Felix Konrad
Architekt und Geschäftsführer des natureplus Institute SCE mbH