Baustoff-Experte Philipp Wiehle beim Prüfen von Lehmziegeln. Foto: BAM

Nachhaltige Baustoffe

Neue DIN-Normen für Lehmsteine

Ende April soll die neue DIN 18940 für Lehmmauersteine erscheinen, die das Bauen mit Lehm auch bei Gebäuden mit bis zu fünf Geschossen ermöglicht. Experten erwarten eine deutlich breitere Verwendung der klimafreundlichen und wohngesunden Lehmbaustoffe.

April 17, 2023

Ulrich Röhlen, technischer Leiter der Lehmbaupionierfirma Claytec, spricht von einem "großen Wurf", der dem Dachverband Lehm e.V. (DVL) unter Federführung des Bauingenieurs und Professors mit dem Fachgebiet Lehmbau Christoph Ziegert vom Ingenieurbüro ZRS gelungen ist. Beide sind engagiert im DVL und zudem Obleute des Normausschuss Lehmbau am DIN (Deutsches Institut für Normung). Seit Jahren engagieren sie sich schon dafür, Lehmbauprodukte aus der Denkmalecke und dem Nischendasein in die Mitte des modernen Baugewerbes zu führen. In einem Prozess, der im Jahr 2013 mit ersten verbindlichen DIN-Normen für den Lehmbau begann und bis heute ein ganzes Bündel aussagekräftiger Produktnormen hervorbrachte (DIN 18945 Lehmsteine; DIN 18946 Lehmmauermörtel; DIN 18947 Lehmputzmörtel; DIN 18948 Lehmplatten), wurde nun mit der neuen Bemessungsnorm DIN 18940 zum tragenden Bauen mit Lehmsteinmauerwerk der vorläufige Schlussstein gesetzt. "Der Lehmbau ist somit vollständig und unumkehrbar in die Struktur des heutigen Baugewerbes integriert", jubelt der 1992 gegründete gemeinnützige Dachverband Lehm (DVL), der die DIN-Normen initiierte sowie Richtlinien und Informationsblätter herausgibt, die berufliche Aus- und Weiterbildung fördert und eine Plattform für den Informations- und Ideenaustausch von Herstellern, Handwerkern, Architekten und Bauherren bietet.

Die neue DIN-Norm 18940 soll nun den Weg für die breite Verwendung von Lehmmauerwerk bei Gebäuden mit bis zu vier Geschossen ebnen. Denn jetzt haben Planungsbüros erstmals eine rechtlich verlässliche Grundlage für den technischen Einsatz von Lehmmauerwerk. Zugleich macht es die neue Norm der Industrie leichter, klimaneutrale und energiesparende Lehmprodukte am Markt zu etablieren. Lehm ist ein nachhaltiger Baustoff, der vor allem im Wohnungssektor helfen könnte, Klimaneutralität zu erreichen. Anders als herkömmliche Ziegel oder Zement werden Mauersteine aus Lehm nicht gebrannt, sondern lediglich getrocknet. Ihre Herstellung benötigt daher bis zu 85 Prozent weniger Energie und weist eine gute CO2-Bilanz auf. Auch können Lehmmauersteine aufgrund ihrer Wasserlöslichkeit vollständig recycelt werden: Sämtliche Bestandteile lassen sich sortenrein zurückgewinnen und können in einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft erneut genutzt werden. Schließlich haben Lehmbaustoffe auch viele positive Auswirkungen auf das Raumklima und die Wohngesundheit. Auch natureplus engagiert sich mit seinem Umweltzeichen für diese ökologischen Produkte.

Jedoch wird Mauerwerk aus Lehm aktuell kaum eingesetzt. „Das liegt vor allem an den bisherigen Vorschriften, die sehr restriktiv sind“, erklärt Philipp Wiehle von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), welche die begleitenden Werkstoffprüfungen vorgenommen hat. „So dürfen etwa Lehmsteine nur bei Gebäuden mit maximal zwei Geschossen verwendet werden. Vorgeschrieben ist dann zusätzlich eine Wandstärke von mindestens 36,5 Zentimetern – mehr als das Doppelte als bei anderen Materialien. Das macht die Verwendung von Lehmmauerwerk teuer und entsprechend unattraktiv. Dabei spiegelt das aktuelle Regelwerk in keiner Weise die Leistungs- und Tragfähigkeit moderner Lehmbaustoffe wider und behindert ihre Verwendung unnötig.“

In einem von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderten Projekt hat nun die BAM die mechanischen Eigenschaften und insbesondere die Tragfähigkeit von Lehmsteinen umfassend untersucht. Das Ergebnis: Die Festigkeit von Lehmmauerwerk liegt im Bereich von Mauerwerk aus Porenbetonsteinen. Diese Untersuchungen sind in die neue DIN 18940 eingeflossen und ermöglichen einen Einsatz von Lehmmauerwerk bis zu 13 m Höhe. „Mit der DIN-Norm steht Planungsbüros nun erstmals eine verlässliche Quelle zur Verfügung, die genau angibt, wie es technisch eingesetzt werden kann“, so Philipp Wiehle. Insbesondere im Wohnungsbau, bei dem in Deutschland drei Viertel aller Gebäude in Mauerwerksbauweise errichtet werden, könnten Lehmsteine einen entscheidenden Beitrag zu mehr Klimaneutralität leisten. Mit der neuen DIN-Norm, die im Mai veröffentlicht wird, nimmt Deutschland weltweit eine Vorreiterrolle im Lehmmauerwerksbau ein.

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