Schuldenfrei und klimaschutzlos?
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse stellt das bisherige Geschäftsmodell der Ampel in Frage. Macht es auch eine Politik für Klimaschutz und wirtschaftliche Transformation unmöglich? Ein Kommentar.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Schuldenbremse löste 60 Milliarden Euro ungenutzte Schuldermächtigungen aus der Corona-Krise in Luft auf, die eigentlich in den Klima- und Transformationsfonds fließen und in den kommenden Jahren genutzt werden sollten. Der Klimaschutz- und Transformationsfonds (KTF) ist ein Schattenhaushalt, der aus dem ursprünglichen Sondervermögen »Energie- und Klimafonds« 2022 entstanden ist, um die Einnahmen aus der CO₂-Besteuerung und dem CO₂-Zertifikatehandel für sinnvolle Klimaschutz-Investitionen und für einen sozialen Ausgleich der Belastungen (Klimageld) verwenden zu können. Er speist sich größtenteils aus dem europäischen Emissionshandel mit dem Verkauf von Verschmutzungszertifikaten sowie aus den Erlösen der nationalen CO₂-Bepreisung, die seit 2021 auf die Bereiche Verkehr und Gebäude/Wärme festgelegt wurde. Der CO₂-Preis betrug zu Beginn 25 Euro pro Tonne CO₂ und sollte sukzessive auf 55 Euro im Jahr 2025 ansteigen. Doch wegen der Energiekrise ausgelöst durch den Ukrainekrieg wurde der CO₂-Preis zunächst bei 30 EUR/to eingefroren, Fachleute sehen einen verursachergerechten Preis etwa bei 280 EUR/to. Immerhin hatte die Bundesregierung im Herbst beschlossen, den CO₂-Preis ab dem 2024 auf 40 EUR/to zu erhöhen: der CO₂-Preis pro Liter Sprit entspräche dann etwa 12 Cent.
Der KTF war überbucht
Dennoch war da schon klar, dass der KTF hoffnungslos überbucht war. Im Jahr 2024 hätten gemäß dem Haushaltsentwurf der Koalition aus dem KTF folgende Maßnahmen bezahlt werden sollen: 18,9 Mrd. für Gebäudesanierung und Heizungserneuerung, 12,6 Mrd. für die Förderung von Erneuerbarer Energie (v.a. PV), 4,7 Mrd. für Elektromobilität, 4 Mrd. für die Halbleiterproduktion, 4 Mrd. für die Erneuerung der Eisenbahninfrastruktur, 3,8 Mrd. für die Wasserstoffwirtschaft, um nur die größten Ausgabenposten zu nennen. Doch allein durch die geplanten milliardenschweren Subventionen für die Transformation der Stahl- und Chemieindustrie, für Intel sowie TSMC war der KTF bereits überbucht, für alle anderen bereits zuvor beschlossenen Maßnahmen wäre kein Geld mehr da gewesen. Für den ursprünglich als integraler Bestandteil des Konzepts vorgesehenen sozialen Ausgleich durch das Klimageld für alle waren erst recht nie Mittel vorgesehen gewesen. So versuchte die Bundesregierung mit 60 Milliarden genehmigter Schuldenaufnahme aus der Corona-Nothilfe dieses Loch zu stopfen. Diesem stümperhaften Versuch, die Schuldenbremse zu umgehen, hat das Bundesverfassungsgericht nun einen Riegel vorgeschoben.
Beim Klimaschutz "gleichzeitig auf dem Gas und auf der Bremse"
Im Grunde hat das Gericht auch anderen Schattenhaushalten wie dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), aus dem die Strom-, Gas- und Benzinpreisbremsen bezahlt wurden, sowie diversen ähnlichen kreditfinanzierten Sondertöpfen der Länder eine Absage erteilt, sofern sie nicht sehr konkret und jedes Haushaltsjahr aufs Neue durch eine Ausnahmesituation begründet werden. Denn ungehemmte Schuldenaufnahme ist weder nachhaltig noch generationengerecht. Damit stellt das BVerfG-Urteil nach Ansicht des Umweltverbandes natureplus die Bundesregierung für den Haushalt 2024, der noch in diesem Jahr verabschiedet werden müsste, um eine Lähmung des Staates zu verhindern, vor eine große Aufgabe: "Sie muss sich endlich ehrlich machen und Prioritäten setzen, sie muss vor allem die gängige Praxis beenden, Uneinigkeit in der Sache durch reichen Geldsegen zu überdecken", mahnt der Umweltverband: "Man kann nicht gleichzeitig klimaschädliche Subventionen und Subventionen für Klimaschutz finanzieren, damit man es nur ja jedem recht macht. Man kann nicht Preisbremsen für Energie einführen und den CO₂-Preis künstlich niedrig halten, um die Bürger nicht zu belasten, und gleichzeitig die Bürger mit schuldenfinanzierten Programmen motivieren wollen, Energie zu sparen." Das viele Geld aus den (z.T. verfassungswidrigen) Schattenhaushalten habe offenbar den Blick darauf verbaut, dass die Koalition "gleichzeitig auf dem Gas und der Bremse" stand: Förderung der Energiewende bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung aller fossiler Subventionen.
Klimaschädliche Subventionen
Laut Analyse des Umweltbundesamtes von 2021, bestätigt durch aktuelle Zahlen einer Erhebung des Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) und der Prognos, belaufen sich die jährlichen klimaschädlichen Subventionen auf 65 Milliarden Euro. Dabei geht es um vielfältige Begünstigungen und Steuererleichterungen fossiler Wirtschaft – wie etwa der Freistellung des Braunkohletagebaus von der Förderabgabe für Bodenschätze oder dem sogenannten Diesel- und Dienstwagenprivileg. 65 Milliarden Euro für Subventionen, die die Klimaziele direkt konterkarieren! Ein paar Beispiele: 8,2 Milliarden entgingen dem Staat allein dadurch, dass er Diesel niedriger besteuert als Benzin – obwohl der Kraftstoff mehr CO₂-Emissionen und Schadstoffe verursacht - im Kern eine Subvention für den LKW-Güterverkehr, die es nur in Deutschland gibt. Die Steuerbefreiung von Kerosin für Flugzeuge kostete 8,7 Milliarden. Das sozial ungerechte Dienstwagenprivileg, das zu einem höheren und leistungsstärkeren Autobestand führt, 3,1 Milliarden Euro. Die kostenfreie Zuteilung von CO₂-Zertifikaten an Unternehmen, die am europäischen Emissionshandel teilnehmen, wird aktuell auf neun Milliarden Einnahmeausfall geschätzt. Der niedrigere Mehrwertsteuersatz auf tierische Produkte - eine Subventionierung der Massentierhaltung - schlägt mit fünf Milliarden Euro zu Buche. Auch die Pendlerpauschale mit jährlich über sechs Milliarden Euro steht in der Kritik, weil sie den Ausbau des ÖPNV auf dem Land hemmt. Wer also Geld sucht, um das aktuelle Haushaltsloch zu füllen, könnte an diesen Stellen fündig werden - und über die Dysfunktionalität der meisten dieser "fossilen Subventionen" sind sich die Experten auch einig, nicht jedoch die Regierungsparteien - und ebenso die Opposition.
Sondervermögen oder Reform der Schuldenbremse?
Eine Lösung sehen vor allem Grüne und SPD im Beschluss einer neuen Notlage, die die Aufnahme neuer Kredite über die geltende Schuldenbremse hinaus möglich machen soll. Dagegen stemmt sich jedoch die FDP. Eine weitere Möglichkeit wäre die Ausrufung eines Sondervermögens für den Klimaschutz – wie dem für die Bundeswehr. Doch dafür bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag, die nur mit der Union möglich wäre. Dies rät auch die klimaengagierte "Wirtschaftsweise" Claudia Kemfert vom DIW: "Wir sollten die Chance nutzen, die Schuldenbremse grundlegend zu reformieren. Das Bundesverfassungsgericht hat 2021 entschieden, dass Klimaschutz eine zentrale Aufgabe des Staates ist. Wir stecken mitten in einer tiefgreifenden Klimakrise, die nicht in einem Jahr, sondern nur über Jahrzehnte gelöst werden kann." Auch der Umweltdachverband Deutscher Naturschutzring (DNR), dem auch natureplus angehört, will in diese Richtung: „Wir brauchen eine Schuldenbremse, die übermäßigen Konsum verhindert, aber Zukunftsinvestitionen ermöglicht. Ohne sie können weder Staat noch Bürgerinnen und Bürger die Transformation in Richtung Klimaneutralität leisten.“ Eine Reform der Schuldenbremse, die unterscheidet zwischen konsumptiven Ausgaben des Staates und Investitionen in die Wirtschaftszukunft, benötigt aber ebenso eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit. Ob Sondervermögen Klimaschutz oder Reform der Schuldenbremse - beides ist nicht umsetzbar, wenn sich Regierung und Opposition uneins sind.
Die Zeit drängt
Bleibt also kurzfristig nur die Möglichkeit, "akut die Schuldenbremse auszusetzen", wie Claudia Kemfert vorschlägt? Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 30.11. zwingt jedenfalls die Bundesregierung zu Klimaschutz-Sofortprogrammen im Verkehrs- und Gebäudesektor. Auch wenn das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, kann sich die Regierung eine weitere Schwächung der Klimaschutzmaßnahmen in diesen Bereichen nicht erlauben. Hier ist Eile geboten, um die grassierende Verunsicherung gerade auch im Bausektor zu überwinden: Mit dem Inkrafttreten des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) sollten erhöhte staatliche Zuschüsse für Wärmepumpe und Co. zum 1. Januar 2024 verfügbar sein. Auch sinnvolle angekündigte Förderungen wie „Jung kauft Alt“ oder KfW-Programme im Bereich Neu- und Bestandsbau stehen in Frage. "Keiner weiß genau, was ab 2024, also in wenigen Wochen, gelten wird, dabei müssen Bau- und Sanierungsvorhaben langfristig geplant werden", moniert natureplus. Selbst wenn die Regierung angekündigt hat, einige dieser Förderprogramme auf jeden Fall fortzuführen, ist beispielsweise unklar, ob die vorgesehenen Mittel für die Unterstützung des KfW-Programms "Klimafreundlicher Neubau" in 2024 ausreichen werden, damit nicht erneut zur Jahresmitte nachgelegt werden muss. "Insgesamt ist zu befürchten, dass die Verwirrung und Unsicherheit bei Verbrauchern und Investoren zu einem weiteren Einbruch der Bautätigkeit führen wird", konstatieren Brancheninsider.
Wohin soll es gehen?
Allerdings ist aus Sicht von natureplus zu bedenken, ob staatliche Subventionen wirklich der Weisheit letzter Schluss beim Klimaschutz sind. Fördermittel und Subventionen erhöhen immer die Bürokratie, um Missbrauch vorzubeugen, sie hemmen die Eigeninitiative, weil sie alles in Regeln zwängen. Besser wäre es, indirekte Mechanismen wirken zu lassen, welche die Kreativität der Bürger freisetzen. Der Staat muss nicht in einem Hochsteuerland wie Deutschland alles Erwünschte durch Fördermittel voranzubringen suchen. So wäre es doch einfacher und unbürokratischer, beispielsweise ökologische Materialien zur Sanierung von Gebäuden von der Steuer zu befreien oder großzügige Abschreibungen zu ermöglichen, wie es in anderen Ländern üblich ist. Dann würde nicht wie beim GEG auch noch das Falsche gefördert, nämlich aufwändige Technik statt natürlichem Bauen. Sondern die Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf das Wesentliche, also ein zukunftsfähiges und gesundes Wohnen in Selbstbestimmung.
Instrumente für den Klimaschutz müssten eigentlich einfach und klar verständlich sein. So wie es im Grunde die CO₂-Bepreisung sein sollte: Das Unerwünschte wird unwirtschaftlich, dadurch wird ein Anreiz gegeben, nach neuen, verträglichen Lösungen "technologieoffen" zu suchen. Für die Wirtschaft braucht es (Steuer-)Erleichterungen, die aber nur der Finanzierung der Transformation zugute kommen dürfen. Zugleich werden soziale Härten durch ein Klimageld ausgeglichen, das sich nach den jährlichen Einnahmen richtet: der Staat braucht dann kaum mehr als die Kontonummer seiner Bürger. Die aktuelle Haushaltskrise schreit eigentlich nach einer Wiederbelebung dieses Instruments.