Lehmschichten über einer Kies-Lagerstätte, Bild: ClayTec

Podium

Zukunftspotenzial von Lehmprodukten

natureplus Mitglied ClayTec berichtet von den Vorzügen und dem Zukunftspotenzial von Lehmprodukten. Ein Gastbeitrag.

August 6, 2024

Bauprodukte aus Lehm können einen wesentlichen Beitrag zur notwendigen Bauwende leisten: Der Rohstoff ist in sehr großen Mengen verfügbar, die Herstellung der Produkte denkbar energiearm, das Material kann beliebig oft wiederverwertet werden. Die Feuchtepufferfähigkeit der Oberflächen und die große thermische Speichermasse sorgen für ein gutes Raumklima. Neu sind Entwicklungen im Trockenbau, im tragenden Bauen und der Einsatz von Lehmprodukten als Enabler der Zirkularität anderer Bauprodukte.

Verfügbarkeit

Als nahezu unendlich verfügbarer Rohstoff kommt Lehm in der Natur vor. Für den Abbau von Lehm braucht es keine eigens angelegten Gruben: Baulehm kommt unter anderem beim Abbau von Kies und Sand als Deckschicht vor. Auch für Baumaßnahmen wird Lehm im großen Umfang abgebaggert und deponiert. Man muss ihn nur nutzen, der Rohstoff ist fast unbegrenzt verfügbar. Lehm kann regional gewonnen und genutzt werden. Dies spart fossile Transportenergie und belastet die Straßen wenig.

Ebenso wie Holz ist Lehm ein Rohstoff, der unmittelbar als Baustoff verwendet werden kann. Viele Lehmbauprodukte bestehen aus nur wenigen Komponenten, z.B. aus Lehm, Sand und natürlichen Zusätzen wie Stroh. Das Mischen ist kein hochkomplexes Produktionsverfahren, chemische Zusätze sind nicht nötig. Diese Einfachheit bewirkt Liefersicherheit auch in schwierigen Zeiten, ökologische und soziale Standards sind gut zu garantieren.

Energiebedarf bei der Baustoffproduktion

Die benötigte Energie für die Herstellung von Baustoffen entscheidet über den Großteil der Treibhausemissionen und somit über die Klimabilanz. Die Zeit drängt: Laut des Berichts „Global Status Report for Building and Construction“, des UN-Umweltprogramms, resultieren aus dem Bau- und Gebäudesektor 40% der globalen CO2-Emissionen. Lehmbaustoffe haben hier ihre großen Stärken. Etliche Lehmbauprodukte sind aufgrund der CO2-speichernden Pflanzenfaseranteile sogar klimapositiv.

Lehmmörtel und viele andere Lehmbaustoffe können gänzlich ungetrocknet produziert, gelagert und verarbeitet werden. Der natürliche Feuchtegehalt des Rohstoffs in der Erde („erdfeucht“) wird einfach belassen. Ein Elektromotor, vorzugsweise angetrieben von Solarstrom, homogenisiert den Rohstoff und vermengt ihn mit Sand und Stroh. Energetisch minimaler geht es nicht.

Bei mineralischen Bindemitteln wie Zement, Kalk oder Gips ist dies anders: Das im Gefüge eines Ursprunggesteins gebundene Wasser, das sogenannte Kristallwasser, wird zunächst ausgebrannt, dann wird das Gestein zu Pulver vermahlen. Um die plastische Verarbeitung auf der Baustelle zu ermöglichen, wird Wasser wieder zugegeben, an der Wand erhärtet das Material dann unter chemischer Einbindung dieses Wassers wieder zu einer Art Gestein. Bei Lehm gibt es diesen energieintensiven Loop nicht, er erhärtet durch einfache Austrocknung.

Zirkularität

Ein entscheidender Faktor für die Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit von Baustoffen ist deren Potential für die Rückgewinnung. Mineralische Baustoffe werden in der Regel zerkleinert und für untergeordnete Anwendungen, z.B. im Straßenbau, verwendet. Man nennt dies „Recycling“, eigentlich müsste man von „Downcycling“ sprechen. Aus Lehmbauprodukten dagegen können beliebig oft neue Lehmbauprodukte hergestellt werden. Dies wird durch die Art ihrer Bindung bewirkt: Lehmbaustoffe sind wassergebunden, sie sind also auch wasserlöslich. Selbst nach Jahrzehnten oder Jahrhunderten können sie ohne Wertverlust in eine andere Form gebracht werden. Aus jedem Lehmbauprodukt kann dabei fast jedes andere Lehmbauprodukt hergestellt werde. Diese sogenannte „Kreuzkompatibilität“ ist einzigartig.

Die Wasserlöslichkeit bedeutet aber auch Wasserempfindlichkeit. Früher wurde dies als Nachteil gesehen. Dies beruhte auf dem Missverständnis, dass die gesamte Außenwand inklusive der bewitterten Schicht aus Lehm besteht, Lehmbauprodukte sind aber nur im Innenausbau sinnvoll und gefragt. Dort spielt die Wasserempfindlichkeit keine Rolle. Zur Verdeutlichung: Auch Gipskartonbauplatten sind wasserempfindlich, aber sehr erfolgreich am Markt. Niemand würde auch nur in Erwägung ziehen, sie als Fassadenplatten zu verwenden. So ist es auch bei Lehmprodukten, bei denen der vorgebliche Nachteil unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit ein zentraler Vorteil ist.

Raumklima

Gutes Raumklima entsteht durch ausgleichende atmungsaktive Oberflächen und thermische Wärmespeichermasse. Lehmbauprodukte können große Mengen Luftfeuchte aufnehmen und sie bei Trockenheit wieder abgeben, Schadstoffe und Gerüche können gebunden oder sogar neutralisiert werden. Schwere Lehmbauprodukte sind thermische Speicher, sie kühlen den Innenraum bei sommerlich hohen Außentemperaturen. Diese Fähigkeit hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Anders als Klimaanlagen wirken Lehmbauteile dabei nach dem „low-tec“-Prinzip. Ihre Funktionsfähigkeit fordert weder elektronische Steuerung noch Energieeinsatz oder Wartungskosten.

Ein wichtiger Anwendungsbereich von Lehmbauprodukten sind Wandheizsysteme und -kühlsysteme. Sie sind das Gebot der Stunde: Im Heizfall arbeiten sie mit niedriger Vorlauftemperatur, das heißt mit nur mäßig erhitztem Wasser. Dies steigert die Energieeffizienz von Wärmepumpen deutlich und macht sie vielfach erst wirtschaftlich. Die Kombination mit Lehm steigert diese Wirkung weiter. Die natürlichen diffusionsoffenen Lehmputzflächen sind das perfekte Wärmeabgabemedium, funktional und ästhetisch.

Mögliche Gamechanger der Raumheizung und -kühlung: Flächensysteme mit Lehmbauprodukten, Bild: ClayTec

Zukunftsmärkte für Lehmbauprodukte

Die wichtigsten Anwendungsbereiche von Lehmbauprodukten der letzten Jahrzehnte sind Innenputze, Oberflächengestaltungen sowie die Fachwerksanierung und die Innendämmung. In die Zukunft weisen Trockenbauanwendungen, tragendes Lehmsteinmauerwerk und Lehmdünnbettmörtel für Ziegel und andere künstliche Steine.

Trockenbau

Der Trockenbau mit Lehmplatten hat sich in den letzten Jahren im Vergleich zu anderen Lehmprodukt-Techniken besonders stark entwickelt. Die Gründe: Trockenbauwände sind leicht und schnell auszuführen, Eigenschaften zum Schall- und Brandschutz können verbindlich benannt werden. Auch öffentliche Auftraggeber zeigen vermehrt Interesse, Bauvorhaben mit einem Volumen von mehreren tausend Quadratmetern Lehmplatten-Beplankungen sind keine Seltenheit mehr. Hier sprechen vor allem die hervorragenden Umwelteigenschaften („EPD“) vieler Produkte für den Einsatz. Seit Anfang des Jahres ist sogar eine rein solar getrocknete Lehmplatte am Markt. Erste Hersteller veröffentlichen Trockenbau-Kompendien mit genauen Angaben zu Konstruktionen und Detaillösungen. Auch in Sachen Prüfungen und Zulassungen holen die Lehmplatten auf, hier ist allerdings noch ein gutes Stück des Wegs zu gehen.

Rein solare Lehmplattenproduktion, Bild: ClayTec

Tragendes Lehmsteinmauerwerk

Seit Mitte des letzten Jahres liegt mit DIN 18940 eine moderne Bemessungsregelung für tragendes Lehmsteinmauerwerk vor. Initiiert wurde die Normungsinitiative vom Dachverband Lehm e.V., Weimar. Erstmalig ist es möglich, Häuser der Gebäudeklasse 4 zur realisieren, die Lehmsteinwände können dabei bis zu 13 m hoch ausgeführt werden. Da man bei der Erstellung der Regelung nur auf Erfahrungen mit kleinformatigem Mauerwerk zurückgreifen konnte, kommt wirtschaftlich verklebtes modernes Mauerwerk aus großen Planblöcken noch nicht vor. Erfreulicherweise gibt es aktuell jedoch schon mehrere Herstellerinitiativen, die an Zulassungen für diese zeitgemäßen und kostengünstigen Mauerwerksvarianten arbeiten.

Großformatige Lehm-Planblöcke mit Lehm-Dünnbettmörtel, Bild: ClayTec

Verklebung von Ziegeln und hydraulisch gebundenen Steinen mit Lehm

Die Möglichkeit, lösbare Verbindungen zu schaffen, nutzt auch anderen Baustoffen, die so ihr zirkuläres Potential entfalten können: Mit Lehmmörtel verklebte Ziegel, Kalksand- oder Leichtbetonsteine können wiederverwendet werden, Zementmörtel-verklebte Ziegel nicht. Wenn die energetisch aufwändig produzierten und statisch leistungsfähigen Mauerwerksteine mehrfach verwendet werden, verbessert sich ihre Umweltperformance signifikant. Dabei ist wichtig, dass auch die Innenbeschichtungen gelöst und sortenrein getrennt werden können, wie es bei Verwendung von Lehmputzmörteln gegeben ist. Auch hier wird es in absehbarer Zeit Zulassungen geben.

Lehm-Dünnbettmörtel für Kalk-Sandsteinmauerwerk, Bild: ClayTec

Lehmbauprodukte – jetzt!

Die beschriebenen Innovationen werden die Anwendung von Lehmbauprodukten nachhaltig verändern und in großem Umfang erweitern. Dies soll jedoch nicht davon ablenken, dass mit den heute eingeführten Anwendungen bereits sehr wichtige Schritte in Richtung Bauwende getan sind. Lehmprodukte sind heute weit entwickelt und sehr gut verfügbar. Keiner der Anwendungen haftet noch der Makel des Experimentellen an, Lehmbauprodukte sind in Deutschland seit 2013 genormt, nunmehr bereits in der dritten Normgeneration. Es gibt keine wirklichen Hinderungsgründe mehr. Lehmbauprodukte sind in großer Auswahl und breiter preislicher und technischer Auffächerung verfügbar – sie müssen nur genutzt werden!

Professionelle Verarbeitung von Lehmputzmörtel mit der Putzmaschine, Bild: ClayTec

Das natureplus Podium für Mitglieder

In unserer Rubrik Podium haben die natureplus Mitglieder das Wort. Lösungen, Innovationen, Erfolgsgeschichten, Wissen, Fragestellungen, Aufrufe u.v.m.: Alles, was uns der Bauwende ein Stück weit näher bringt, darf hier mit dem natureplus Netzwerk geteilt werden. Sie möchten auch einen Beitrag in den natureplus News veröffentlichen? Melden Sie sich gerne! Melinda Meisel - meisel@natureplus.org

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